Haeckel, Karl

Karl Haeckel an Ernst Haeckel, Freienwalde, 22. Dezember 1861

Freienwalde

d. 22 Decbr 1861

Lieber Bruder!

Wenn wir uns nun auch hoffentlich bald wiedersehen, will ich Dir doch endlich noch vorher meinen Dank für Deine Zeilen von neulich sagen. Als ich sie empfing, war meine Antwort an den feudalen Landrath bereits vom Stapel gelassen. Du wirst sie zu zahm finden; ich habe sie reiflich mit Gesinnungsgenossen überlegt und absichtlich nur die nöthigste Abwehr hineingebracht. Damit ist denn auch, – so viel ich weiß, denn die Kreuzzeitung bekomme ich nur selten zu Gesicht – die Polemik beendet gewesen. Der Drucker [!] den der Hℓ Landrath bei der Gelegenheit u. noch durch eine letzte Bekanntmachung vor den Wahlen „daß dem Könige Männer von der Fortschrittspartei nicht genehm seien“, hat ausüben wollen hat gar nichts gewirkt, u. das ist wie ich glaube, mit dem Maaße zu danken, das wir Liberalen auch in unsrer Polemik zu halten uns bemühten, (den Aufruf der Liberalen Wahlmänner Wriezen’s wirst Du in der Volkszeitung gelesen haben.) Der Sieg den wir am Wahltage in Bernau über die Feudalen davon trugen, war in der That || glänzender, als wir es selber erwartet hatten – von 590. Wahlmännern circa 90. feudale, aus dem ober-barnimer von 233 nur 27! und das nur Rittergutsbesitzer, Pastoren, Inspektoren u. Schulzen; kaum 1 Bauer, der unabhängig hielt es mit ihnen. Aber innerhalb unsrer eignen Partei ging es nicht nach meinem Wunsche. Pannier u. G. Hacke kamen ohne jegliche Opposition auf die Kandidatenliste. Als dritter war von den Vinckianern v. Eckardtstein aufgestellt u. darin lag der Fehler; eine Notabilität der Partei hätten wir leicht durchgebracht, z.B. Dunker-Berlin (den Stadtrath), aber die wollten Eckardtstein keine Concurrenz machen u. letztern wollten viele vom Lande nicht u. auch die Städter scheuten sich zwei große Grundbesitzer in die Kammer zu senden. Dazu kam, daß Eckardtstein etwas bequem u. ein weniger bedeutendes Mitglied der Kammer, in mehreren Cardinalfragen der Mehrzahl zu a regierungsmäßig gestimmt hatte. Kurz, ein reiner Fortschrittsmann, talentvoll, aber auch gehörig exaltirt, gewann mit einer stark agitirenden kleinen Schaar, die den Gemäßigteren durch gedrohte Spaltung zu imponiren suchte, das Feld und ging bei der engeren Wahl des dritten Kandidaten durch. Die Vorver-||sammlungen waren vielfach recht interessant. Mündlich darüber mehr.

Du sitzest nun dick in der Liebeswolle drinn u. schwärmst doch so, daß Du für andres nicht viel Sinn haben wirst. Ich aber habe noch grade in den letzten Tagen vor dem Feste noch tüchtig im Amte u. mit Briefschreiben zu thun, heute z. B. keine Idee von Sonntag gehabt. Drum dispensire mich von weiterm Schreiben. Sei zum 24st recht fröhlich. Den Aufbau bei den Aeltern genießen wir hoffentlich zusammen.

Dein treuer Bruder

Karl

Bitte besorge mir doch die Einlage zum 29st Abends ||

An Ernst

a gestr.: gemäßigt

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
22.12.1861
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 34932
ID
34932