Sethe, Anna

Anna Sethe an Ernst Haeckel, Bonn, 5. – 7. August 1859

Bonn den 5. 8. 59.

Noch ist nicht Alles im Hause wach, mein lieber Erni; da muß ich Dir gleich von meinem herrlichen gestrigen Tag schreiben, den ich in Rolandseck zugebracht habe, wo ich Dich so oft an meine Seite wünschte, um mit Dir den lieben deutschen Rhein mit seinen malerischen Ufern zu bewundern. Oben im Rolandsbogen, Angesichts des schroffen, romantischen Drachenfelsens habe ich mir vorgenommen, mit Dir zusammen diese Genüße einmal zu theilen, für die Du gewiß noch offene Augen behalten wirst nach den allen herrlichen, feenhaften Beleuchtungen, wilden Felspartien und tropisch bewachsenen Thälern vom duftigen, blauen Meer umgeben. Leider war nur eine Viertelmondscheibe bei der Rückfahrt am Himmel, die hoffentlich meine Grüße nicht minder gut bestellt hat, als der Vollmond, der sie so oft hören muß. Liebchen ich war ganz entzückt gestern über Gottes liebe, schöne Natur, in der ich mich so wohl, so frei und glücklich fühle, daß ich gar nicht wieder aus ihr heraus in die beengenden Räume des Hauses möchte. Laß Dir nun ausführlich erzählen, wie wir die kleine Rheintour gemacht haben. Theilnehmer der Partie waren außer Mutter Hedwig, Auguste, Anna, Johannes, Theodor Bleek, Auguste Stein, eine sehr nette Mainzerin, Helene Spiritusa, ziemlich wenig ihrem Namen Ehre machend, die wir alle um 4 Uhr in einem Coupé dritter Klaße saßen, um nach Rolandseck zu fahren. Der Weg hin ist schon prächtig in dem Thal zwischen Gebirgen zu beiden Seiten; rechts das Vorgebirge: Venusberg etc. Alle schön bewaldet und mit Dörfern und Landhäusern untermischt, was überhaupt der Rheinlandschaft einen eigenthümlichen Charakter verleiht; links das schön geformte Siebengebirge, deßen einzelne Höhen sich fortwährend verrücken, so daß man alle 5 || Minuten bei stets wechselnder Beleuchtung ein anderes Bild vor sich hat, von denen ich mir so gern eins auf dem Papiere mitgenommen hätte, wäre meine Hand nur ein wenig geschickter. Vorläufig fühle ich sie noch sehr; der dumme Zeigefinger der linken Hand pisackt mich sehr und will immer noch nicht aufgehen, um eine Portion Unart Deiner Aenni auszutreiben. Im Vorüberfahren sah ich auch die hübsche Ruine Godesberg diesseits des Rheines, rechts von der Bahn und zuletzt den Rolandsbogen kurz vor dem wundervollen Bahnhofsgebäude, vor dem wir unser Coupé verließen und nun vom Altan aus die pompöse Aussicht auf den unvergleichlichen Drachenfels, die Wolkenburg, eine wild zerklüftete Felspartie mit dunkeln Tannen durchwachsen, die Löwenburg, durch schön bewachsene Schluchten von der letzteren getrennt. An das Gebirge schließt sich ein Hochplateau an, aus dem einzelne spitze Höhen, daher Zuckerhüte genannt, sich erheben, rechts in weiter Ferne scheinen diese Höhen jenseits des Rheins mit denen diesseits zusammenzufallen, in welcher Ecke Unkel, Schwarzrheindorf, Remagen mit der Appolinariuskirche, höchst romantisch am Berge, bis zum Rhein herunter liegen. Im Vordergrund dicht zu unsern Füßen floß majestätisch der breite grüne Rhein, von Schiffen aller Art belebt, dahin, mit klarem, leicht bewegtem Spiegel, in den die Villen und Häuser am Ufer lange Schatten warfen. Ich stand ganz entzückt und wünschte Dir einen Kuß zu geben, so war mir Angesichts der lieben Natur zu Muthe. Mutter fand dort alte Bekannte aus Köln; Frau Klage mit Sohn und Tochter, weßhalb sich unser Kaffee etwas hinzog. Nachher schmeckte er aber in dieser schönen Umgebung um so beßer; nachdem wir den recht guten Kaffee, Butter, Brod und || Kuchen intus hatten, erkletterten wir den Rolandsbogen, den letzten künstlichen Rest einer ehemaligen Ritterburg, von wo aus wir das eben beschriebene Bild in noch weit schönerer Perspective vor uns hatten. Beinahe 2 Stunden hielten wir uns singend und plaudernd hier auf, nicht genug das schöne Bild betrachten könnend, das mich umgab. Gegen 7½ Uhr bestiegen wir einen Nachen und schwammen nun langsam auf der grünen Fläche Bonn zu, die nur dann und wann durch ein vorüber fahrendes Dampfschiff gekraus’t wurde. Die Berge gingen aus bläulicher Färbung in die bekannte röthliche des Abends über, der warm, ruhig und heiter war, wie ein schöner Sommer sein muß. Je dunkler es wurde, desto mehr Effect machten die Blitzstrahlen des Wetterleuchtens, deren Feuergluth über den Bergen namentlich mir auf Momente den Vesuv herzauberten und mich Rhein und Siebengebirge ganz vergeßen ließen. Um 9½ Uhr saßen wir wieder Alle um den Theetisch und ich versuchte, so gut und so schlecht es ging, der Missess und Miss Andersen auf Englisch die gehabten Genüße zu schildern, für die Engländer nun einmal kalt und unempfindlich sind; wenigstens begriffen sie nicht, was wir in den 5 Stunden gethan hätten.

Den 6. Die gestrige Unruhe hat mich den ganzen Tag nicht weiter zum Schreiben kommen laßen und heute Abend (11½ Uhr) wird der dumme Finger der linken Hand, auf deßen Aufgehen ich vergebens durch Umschläge hinarbeite, mich auch unfähig machen. Sagen muß ich Dir nur, welch reizende Überraschung heute Morgen Dein lieber Brief war, obgleich ich Dich eigentlich vorerst tüchtig wegen der Vesuvexcursion schelten sollte, die wirklich gar zu tollkühn, freilich ohne Deine Bereicherung ausgefallen ist. Gott sei Dank, daß Du die Gefahren bestanden und Du diese in der Zukunft mehr fliehen wirst, || ein Vorsatz, auf deßen Wahrheit ich noch nicht recht baue. Ich bin froh, daß Du in Allmers einen vernünftigen Gefährten hast, der mich Dir immer ins Gedächtniß rufen muß, wenn Du eine tollkühne Idee hast. Ihm mag die Tour schwer genug geworden sein, obgleich Du ihm das Gepäck abgenommen hattest. Es ist grausig den Gedanken auszudenken, Dich 30' tief fallen zu sehen – ich danke Gott, daß Du glücklich wieder oben und nur vom Gepäck eingebüßt hast, hoffe aber auch hiervon keine Werthsachen. Nachher mußt Du wieder herrliche Tage erlebt haben in dem klaßischen Pompeji, in Amalfi, Sorrent etc. Dein Kostüm zur billigeren Erreichung der verschiedenen Orte muß etwas fabelhaft sein, wie Dr. Binz es hier auch schon geschildert hat; wie wunderbar wird Dir ein vollständiger Anzug, wie man hier daran gewöhnt ist, wieder sein; erkälte Dich nur nicht und bitte, bitte sei nicht tollkühn. Mit dieser Bitte will ich mich schlafen legen und wünsche Dir eine beßere Nacht, als mir wohl bevorstehen wird; morgen wird es mir beßer gehen, da muß der Finger auf; geht er nicht von selbst, laße ich ihn mir aufschneiden – am liebsten von meinem herzigen Doctor! – Deine einzigen Beschreibungen Deiner Hochgenüße haben auch Bleecks sehr gefeßelt; nachdem ichb den Brief ihnen vorgelesen und selbst mit der Karte Deiner Reise gefolgt war, habe ich ihn gleich nach Töplitz an die lieben Alten befördert, die nach dem ersten Brief von dort gutes Quartier gefunden haben; auch hat das erste Bad der Mutter wohlgethan, so verspreche ich mir von der Kur viel. Ich bin begierig, ob Deine Details über Deine Zeitanwendung, Oekonomie und Pläne, die Alten nicht erweichen wird, Dich nach Algier reisen zu laßen, was ich Dir gern gönnen möchte. Nun wirklich gute Nacht, lieber Schatz, könnte ich Dir doch wieder die Hand dazu drücken! ||

Sonntag Morgen den 7. 8. 59.

Guten Morgen ruft Dir Deine frische, muntere Aenni zu, die zwar wenig geschlafen, aber froh ist, mit Dir plaudern zu können, nachdem sie schon um 7½ Uhr eine gute Predigt gehört und jetzt der Hedwig in den Zimmern hat Staub wischen helfen. Ich habe Dir ja noch viel zu erzählen von den letzten Tagen, die ich hier bei den lieben Bleeks, die Dich Alle herzlich grüßen laßen, zugebracht habe. Dienstag expedirte ich den letzten Brief an Dich, der vielleicht nicht viel früher in Deine Hände kommt, als der heutige, weil er zu spät fortgekommen ist. Der heutige wird Dir gewiß auch nicht gefallen; ich denke, er muß sehr confus sein, unleserlich geschrieben ist er wenig und keine 8½ Sgr. werth; mein Finger ist an Allem schuld, der entsetzlich schmerzt. Ich weiß nicht, ob Du jemals einen schlimmen Finger gehabt hast; da die böse Stelle gerade am Nagel und um die Fingerspitze, dem feinsten Gefühlsnerven ist, muß der ganze Körper mitleiden. Bedauern darfst Du mich nicht, das hilft nicht, sondern macht Einen das Uebel schlimmer ansehen, als es ist; wenn dieser Brief in Deinen Händen ist, ist Alles vergeßen und verschwunden. Dienstag Abend war ich noch lange plaudernd mit Hedwig im Garten, die ich gar sehr lieb habe. Mittwoch Morgen war herrlich; während die übrigen jungen Mädchen badeten, saß ich mit Michelet’s Insekt im Garten und erfreute mich an der lebendigen, intereßanten Schilderung des Thierlebens. Dann wurde gefrühstückt und ich half im Haus besorgen, wie gewöhnlich. Ich bekam einen Begriff von der Unruhe im Bleekschen Hause, da der Besuch den ganzen Vormittag nicht enden wollte. Nach dem Eßen sitzen wir gewöhnlich noch eine Weile mit den beiden Engländerinnen zusammen, die liebenswürdig und anspruchslos sind. Gleich nach dem Kaffee gingen Hedwig, Anna, Johannes, Marie im Wagen, Theodor und ich nach dem Rhein herunter, um Mutter mit dem Dampfschiff zu er-||warten. Da es noch nicht zu sehen war, gingen wir auf und ab und von Neuem schwelgte ich in dem prächtigen Blick auf Berge und Waßer. Bald legte das Dampfschiff an und Mutter stieg sehr wohlaussehend aus. Natürlich hat das Bad sie angegriffen, namentlich bei der tropischen Hitze, die sie stets gehabt hat; im Ganzen fühlt sie sich aber sehr viel wohler, so daß sie auf einen beßeren Winter hoffen darf, als der vergangene war, was mir auch durchaus nicht gleichgültig ist. Ach mein lieber Schatz, werden wir uns denn noch im Winter wiedersehen, oder muß die Natur erst wieder lachen, ehe der unstete Schmetterling bei seiner Blume einkehrt? Doch jetzt noch nicht an den Winter gedacht, nun wir noch in einem Sommer leben, wie ich ihn sobald nicht erlebt habe. Seit 14 Tagen hat es wieder keinen Tropfen geregnet, so daß alle Rasenplätze hier in den schönen Besitzungen am Rhein, wie bei Franckes, Arndts etc. mehr Heulagern gleichen. Nachdem wir eine Stunde zusammen geplaudert hatten, machte sich sämmtliche Jugend außer Johannes und Marie, deren Jammergestalt ich nur mit Wehmuth betrachten kann, auf zu einer hübschen Tour auf das Vorgebirge; auf dem Wege dorthin paßriten wir das Poppelsdorfer Schloß, auf deßen Wohnung mit prächtiger Aussicht Theodor mich als zukünftige Frau Profeßorin sehr lüsternc machte, da ein Profeßor der Zoologie dort freie Wohnung hat. Nach Bonn ging ich schon sehr gern; freilich beruht meine Ansicht nur auf den Naturreizen, ob Du in Deinem Amte ebenso denken würdest, weiß ich nicht. Vormittag wohnte ich in der Aula einer Universitätsfeierlichkeit bei zu Ehren des Geburtstages des verstorbenen Königs. Die Profeßoren kamen in feierlichem Zuge in ihrem Maskeradenähnlichen Ornate, wobei ich mich nicht des Lachens erwehren konnte in dem Gedanken, doch später || vielleicht auch diesen Popanz mitmachen sehen zu müßen und zwar als zur medizinischen Fakultät gehörig in krebsrothem Gewande. Unter den Profeßoren und Doktoren sah ich auch La Valette mit seinem scharfgeschnittenen, sarkastischen Gesicht. Deine Grüße an Max Schultze, den ich auch wohl schwerlich werde zu sehen bekommen, habe ich auch gleich an deßen Cousine, ein Fräulein Bellermann ausgerichtet, die bei ihnen logirt und mir sagte, daß sie sich sehr hier gefielen. Frau Lachmann werde ich noch besuchen und dann gewiß von ihm hören und Beckmann, der einige Wochen bei ihnen zugebracht hat. Ich habe eine kleine Station auf meinem Spaziergang gemacht, aber an unrechter Stelle, denn wir machten erst auf dem Venusberg Halt, sahen dort die Sonne klar und majestätisch untergehen und nach dem freundlichen Bonn herüber. Dann ging es weiter nach dem Heimannsplätzchen unterhalb der Rosenburg, wo die Berge und Rhein im bläulichen Abendlicht mich lange feßelten. Durch die Weinberge stiegen wir nach Keßenicht herunter und auf einem Feldwege nach Haus zurück. Unterwegs genoßen wir noch ein eigenthümliches Schauspiel; bei klingender Musik sahen wir uns nämlich von Außen einen großen schön mit Fahnen und Schlägern decorirten Saal an, in dem die munteren, lustigen Studenten aller Corps einen Abschiedscommers feierten. Dies ungebundene, lustige Leben hat doch einen eigenen Reiz, wenn nicht die vielen Schattenseiten es in eine trübe Wolke hüllten. Donnerstag Morgen erhielt ich den ersten Brief vom lieben Alten aus Töplitz mit guten Nachrichten, den ich noch am selben Tage nach Berlin an Tante Bertha schickte, die ihn nach Freienwalde weiter befördern sollte. Die liebe Alte hat schon den ersten Tag nach der Reise gebadet und und [!] Nachmittags einen kleinen Spaziergang gemacht, was ich für ein gutes Zeichen nehme. || Nachmittag machten wir die reizende Partie nach Rolandseck, das einen bleibenden Eindruck auf mich gemacht hat. Freitag Morgen war ich in der Frühstunde mit Dir allein; späterhin machte ich mich Hedwig Besuch bei der Franck, die ich schon in Berlin eines Abends bei Onkel Julius gesehen hatte; die Eine Tochter, Hedwigs Freundin, war leider ein paar Tage vorher nach Ostende gereis’t. Die Mutter hat mir sehr gut gefallen, eine nette, lebendige alte Frau voller Intereße für Jugend und jugendliche Gefühle, in ihrem Wesen nicht eine Spur von dem Reichthum, der sie umgibt. Dann besuchten wir noch eine Freundin von Hedwig: Emma Ostermann, die gestern abgereis’t ist nach Trier; ein natürliches, gewecktes Mädchen, für die ich gleich Sympathien empfand; schade, daß sie auch fort ist. Nachmittag sollten wir mit Francks nach Keßenicht, da Mutter aber sehr müde war, ging nur ein Theil mit und Mutter, Tante Auguste, Marie im Rollstuhl und ich tranken im Hotel Royal am Rhein gelegen auf der Koblenzerstraße [Kaffee], wo wir ein paar Stunden in der schönen Umgebung zubrachten. Ich bedauerte wieder schmerzlich, nicht zeichnen zu können; der Drachenfels und Godesberg lockten unwiderstehlich dazu, und daran hätte der schlimme Finger der linken Hand nicht gehindert, der mir Arbeiten unmöglich macht. Gegen 7 Uhr gingen wir in den Franckschen Garten, der ganz reizend und mit vielem Geschmack angelegt ist und die schönste Aussicht auf’s Gebirge hat; und dann die ganze Koblenzerstraße herunter, wo eine schöne Besitzung die andere übertrifft. Nach einem sehr schönen Sonnenuntergang kehrten wir nach Haus zurück, wo der älteste Lüdtke, Carl Untzer’s Neffe zum Thee sich eingefunden hatte. Nach Tisch profitirten wir von seinem musikalischen Talent; er spielte uns mehrere Beethovensche Sonaten vor || und nachdem Hedwig auch die schöne Phantasie und Sonate von Mozart gespielt hatte, sangen wir gemeinsam deutsche Volkslieder, die Du gewiß gern mit angehört hättest. Gestern Morgen reis’te Mutter früh 7½ Uhr ab nach Koeln, wo sie sich zwei Stunden im Dom aufhalten und dann direkt nach Bochum weiter wollte, wohin ich ihr in 14 Tage folge. Im Laufe des Nachmittags erhielt ich den Brief von Tante Bertha, Deinen einschließend und die gute Nachricht enthaltend, daß es in Freienwalde gut ging, wonach ich hoffe, daß Karl nicht seine Kinder mit dem Scharlachfieber angesteckt hat. Wie nett und lieb Du wieder schreibst, daß ich mit Hülfe der Karte lebendigen Antheil an Deinen schönen Reisen nehme. Könnte ich Dir nur alle Gefahren abwehren! Bis dahin bin ich nie ängstlich Deinetwillen gewesen; aber nach dieser Halsbrechenden [!] Vesuvexcursion wird mir ganz bange um’s Herz, so daß beim Blick auf den Aetna eine Thraene auf die Karte fiel, die hoffentlich recht unnütz gewesen ist. Gott schütze Dich liebe Seele! Prachtvoll muß Nachts die wilde Lavamaße um Euch gewesen sein, doch kann ich mir kaum Ruhe und Auffaßungsgabe möglich denken, nach einer derartigen körperlichen Anstrengung, wobei derd Geist auch nicht unthätig gewesen ist. Wie nett, daß Du bei Deiner Rückkehr einen Brief von mir vorfandest, der, glaube ich, recht flüchtig geschrieben war. Die Tage in Pompeji werden Deine Mappe auch bereichert haben, worauf meine Neugier und Wißbegierde täglich wächst. Und wie in der Arbeitszeit auf Capri wird auch wohl dann und wann ein Aquarell eingeschoben werden. Von Deinem einfachen, oekonomischen Leben bin ich vollständig überzeugt und Dein Alter auch, dem Lampe bei der letzten Einzahlung versichert hat, Du müßtest ein sehr ordentlicher junger Mann sein; lebe also nicht schlechter und pflege Deinen Körper bei den vielen Anstrengungen. Deine Mutter soll sich freuen über ihren schmucken Sohn; dae darf mein Auge gewiß auch bei der Rückkehr mit Wohlgefallen auf Dir ruhen, das schon jetzt vor Stolz im Gedanken und in der Unterhaltung über Dich leuchtet. Aber die Haare müßen nicht ganz kurz sein. – Wann werde ich nun einen Brief wieder bekommen, deßen Ankunft ich jetzt gar nicht mehr berechnen kann; doppelt groß daher die Freude, trifft einer ein. Ich habe ihn Nachmittag an die Alten befördert und hoffe ihn bald zurück zu haben, weil ich ihn nur flüchtig einmal durchgelesen habe. Gegen Abend gestern machten wir noch einen hübschen Spaziergang nach dem Schänzchen, Onkel Julius Lieblingsplätzchen, mir ist der Blick vom Hotel Royal und überhaupt nach der Seite herunter lieber. Nach dem Abendbrod wurden allerlei Spiele vorgenommen, wobei ich unter Anderem Deinen Strohhut für 20 Pfennige erraten mußte, mit dem Du so billig reis’t. Mein Finger freut sich, daß das Papier zu Ende ist, den Cousine Anna herrlich mit Umschlägen versorgt und mir eben besonderen Gruß für Dich aufgetragen hat. Lebe wohl, Du lieber Erni, grüße mir Deinen Allmers herzlich, von dem ich immer noch nicht weiß, ob er verlobt oder verheirathet ist. 1000 Gruß u. Kuß von Deiner Aenni.

[Adresse um 90 Grad nach links gedreht]

Al | Signore Dottore Ernesto Haeckel. | p. ad. Signore Ernesto Berncastel | Farmacia Prussiana | Largo S. Francesco di Paola No 7. | Napoli (Italia). | via Marseille

a gestr.: Fischer; eingef.: Spiritus; b korr. aus: ihn; c korr. aus: lustig; d korr. aus: bei der der; e korr. aus: das

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
07.08.1859
Entstehungsort
Entstehungsland
Zielort
Neapel
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 34462
ID
34462