Sethe, Anna; Haeckel, Karl

Anna Sethe an Ernst Haeckel, Freienwalde, 19. 21. Mai 1859, mit Beischrift von Karl Haeckel

Freienwalde 19. 5. 59.

Heute komme ich erst wieder dazu, mit Dir zu plaudern, mein lieber, lieber Erni, obgleich mich schon Montag Dein letzter Brief überraschte und erfreute, in dem Du das reizende Capri so lockend, so zauberhaft schilderst, daß mein Heimweh nach Dir, nach dem blauen, duftigen Süden bedeutend gewachsen ist. Das trübt mir aber nicht den Mitgenuß alles Schönen, was Du gesehen und gefunden hast und selbst im Traume hat die blaue Grotte mich lebhaft beschäftigt. Möchten die hohen Naturgenüße nur dazu dienen, Dir die Muthlosigkeit und Zweifel zu nehmen, die Dir die schöne reiche Arbeitszeit trüben, Geist und Augen verdüstern und Dein ganzes Wesen in einen ungewißen, dichten Schleier hüllen, unwürdig eines Mannes, besonders eines Naturforschers, der täglich so tiefe Einblicke in’s frische Leben, in den beständigen Stoffwechsel thut, deßen Forschungen in der geheimnißvollen Natur von Jahr zu Jahr wachsen, der also dankbar sein sollte für das Wißen, in dem er lebt, wogegen die Mehrzahl der übrigen Menschen unwißend unter den Schätzen der Natur umhergehen, und – wenn auch der Wunsch nach der Grundwahrheit, nach dem Kern alles Geschaffenen mit jedem Fortschreiten in der Wißenschaft um so bedeutend, heißer wird – nicht verzweifeln sollte bei seiner schönen, genußreichen Arbeit und wohl bedenken, daß im Streben nach Wahrheit, dem Guten und Schönen die Befriedigung für den Menschen liegt, denn gesetzt, die Wahrheit wäre gefunden, die Natur bis in ihrer tiefsten Tiefe ergründet, die göttliche Bestimmung unseres Fortlebens nach dem Tode mit allen Fragen ergründet, würde der Mensch ruhiger, glücklicher und ohne Wünsche sein? Gewiß nicht, drum muthig dem vorgesteckten Ziele nachjagen, nicht nachlaßen in der Arbeit, immer vorwärts in Entwickelung und Kenntnißen: „es leben nur, die schaffen.“ nicht kleinmüthig und zaghaft werden. || Dir speciell, mein lieber Schatz, möchte ich in Deiner jetzigen Lage fortwährend Ausdauer und Muth zurufen und Dich bitten, nicht zu hoch hinauszuwollen; Du scheinst nur Befriedigung in einer großen, bedeutenden Arbeit finden zu können, zu der Deine bisherigen Forschungen Dich noch nicht dispositionsfähig gemacht haben; ich wage nicht, mir hierin ein richtiges Urtheil zuzutrauen, allein, mich dünkt, so schnell ließe sich gar nicht die Fülle Deines reichen Materials übersehen, namentlich da Du nicht so fest und klar in der Beantwortung aller sich Dir aufdrengenden Fragen bist, als Du geglaubt hast, um sofort den Plan zu einem größeren Werke fertig zu haben; warum nicht dem alten Sprichwort getreu mit kleinen Arbeiten anfangen? um so mehr, da Du in Neapel noch nicht mit der Arbeit abschließ’st, sondern in Meßina, wenn der Krieg keinen Querstrich macht, Deine Forschungen fortführst? Ich weiß, schlechtes Wetter ist bei Dir viel schuld an derartigen Faustinischen Gedanken, die jedem Menschen, am meisten aber dem Naturforscher kommen. Der Grund hierin liegt eben in dem Auseinandergehen des Körper- und Geisteslebens, ich meine des materiellen und natürlichen Menschen mit dem, was Göttliches im Menschen liegt sein Seelenleben. Im Gefühl meiner göttlichen Natur, schöpfe ich aus meinem kindlichen Gottvertrauen täglich neue Hoffnung und Frische; da Du diese Quelle nicht hast, mein lieber Schatz, nun so nimm Deine Hoffnung aus der Natur, wo jetzt jedes Blättchen, jede erwachte Pflanze, die munteren Vögel, Hoffnung, Wachsen und Gedeihen predigen; ich nenne es indirekt auch Gott; nenn Du es, wie Du willst, Name ist leerer Schall. Du hast Religion in Dir und willst sie nicht bekennen, worin der Grund zu Deinem unbestimmten, schwankenden Wesen liegt und zu Deinem Mangel an Selbstvertrauen. Weit davon entfernt, Dich zum falschen Ehrgeiz, zur Prahlerei und eigennütziger Überschätzung anzustacheln, deren || Gegensatz Deine kindliche Unbefangenheit und große Bescheidenheit auch auf dem Felde des Wißens ich so sehr an Dir liebe, mußt Du Dir doch Deiner Kräfte bewußt werden, um sie gehörig anwenden zu können. Sei mir nicht bös, lieb Herz, wenn ich Dir kleine Vorwürfe gemacht habe; mehr wollte ich Dir nicht thun, Dir nur beistehen und wenn es möglich ist, zu innerer Befriedigung, dem Spiegel des äußeren Menschen verhelfen. Jeden Sonnenstrahl, der hier schon tüchtig seit ein paar Tagen brennt, möchte ich Dir zuschicken, und mir alles schlechte Wetter vom Himmel erbitten, um Dich frisch, muthig und glücklich zu wißen. Nun sollst Du auch von mir hören. Sonnabend Morgen schickte ich den letzten Brief an Dich ab. Nachmittag zogen sich dicke schwarze Wolken zusammen, die sich in einem tüchtigen Gewitter entluden. Wie wonnig es da nachher gegen Abend war, wie Karl, Hermine, die beiden Jungen und ich durch’s Brunnenthal mit seinen Blüthenbäumen und dann den Berg herauf zur Geschwisterbank gingen, wirst Du Dir selbst sagen. Ich weiß nicht, ob Du den Punkt kennst, man übersieht von dort sehr schöne Baumgruppen und die steile dunkele Kieferwand gegenüber, an der die frischgrünen Buchen und zarten Birken vortrefflich abstechen. Ganz in der Nähe liegt der Turnplatz, deßen Vervollkommnung und Erweiterung Dein Bruder Karl mit großem Eifer betreibt; wir mußten also mit besichtigen und kehrten dann ohne Karl nach Haus zurück, der noch bei Aegidis den Sohn Profeßor, der seines Vater’s Geburtstag feiern wollte, sprechen wollte.

Sonntag Morgen wanderte ich im Wald umher und ergözte mich den übrigen Theil des Morgens an Deinen letzten Briefen, die ich Tages darauf nach Steinspring auf einige Zeit aus den Händen gab. Karl war um 10 Uhr in Militärangelegenheiten nach Wrietzen gefahren, von wo er erst um 6 Uhr zurückkehrte; Hermine machte Besuche, da hatte ich || Dich also ganz allein und feierte wirklich Sonntag, wozu der Himmel keine Lust zu haben schien; er blickte trübe herunter, und regnete Nachmittag beständig, so daß an Ausgehen nicht zu denken war. b Ich amüsirte mich und spielte sehr vergnügt mit den Kindern. Abends las Karl ein etwas manirirtes Gedicht von einem Bruder des hiesigen Grieben, der Redakteur einer Zeitung in Stettin ist, [vor] und dann die sehr intereßanten letzten Kammerverhandlungen der beiden Häuser, betreffend die Kriegsangelegenheit und die in diesem Falle gewünschte Kreditbewilligung; Tages zuvor sind sie beide für dieses Jahr entlaßen worden.

Montag war wieder ein köstlicher Morgen, den ich am Mühlenteich unter den dortigen schönen Bäumen, den Wohnplätzen vieler Nachtigallen, mit Deinem vorletzten Brief, die Vesuvexcursion enthaltend, prächtig genoß; nicht ahnend, daß ein paar Stunden nachher, ein neuer lieber Brief eintreffen sollte mit all seinen Reizen, seiner Liebe für mich. Ich will froh sein, wenn die Briefe dauernd so regelmäßig überkommen, will mich aber nicht gleich, wie Deine Mutter, ängstigen, verspätet sich einmal einer. Da Karl ½ Stunde vor dem Eßen vom Gericht kam, las ich ihnen meine Schätze bis auf das Couvert, mein Privateigenthum, vor, wozu Karl: „Frommels pittoreskes Italien“ holte, das er sich von Jungs geborgt hat, ganz gute Reisebeschreibungen mit instructiven Bildern enthaltend, woraus Karl uns auch zuweilen Abends vorlies’t. Morgens nach dem Frühstück um 8 Uhr war Fräulein Wangemann hier gewesen, um uns zum Nachmittag zu sich zu bitten, den wir denn auch sehr angenehm bei den lieben Menschen zubrachten. Sie wohnen jetzt draußen im Alexandrinenbad mitten in einem großen Garten, in dem der Flieder nach dem Gewitter um 4 Uhr ganz besonders schön duftete. Wir tranken den Kaffee am offenen Fenster, mit der Aussicht auf den duftenden || Garten, im Hintergrund den kahlen Berg und rechts die schön bewaldeten Höhen, ein Stückchen Gebirgsnatur, das meine Gedanken oft abschweifen machte. Wir wurden gequält, auch den Abend dazubleiben; Hermine ging also um 6 Uhr zu Haus, um Heinrich zu befriedigen und kehrte um 7½ Uhr mit Karl zurück. Während dieser Zeit ging ich mit Fräulein Wangemann und Arndt in dem hübschen Garten spazieren, der die verschiedensten, sehr netten Aussichten bietet und ließ mir die ganze Hauseinrichtung zeigen. Beim Thee mußte ich Deine Capriexcursion vortragen, der beide Damen mit großem Intereße folgten. Die Krone setzte dem gemüthlichen Abend der Rückweg auf bei hellem Mondenschein und melancholischem Gesang der Nachtigallen. Da war ich denn für meine liebe Schwester und Schwager gar nicht da und holte mir und bestellte unserem lieben Freunde 1000 Grüße. Dienstag Morgen wanderte Karl mit mir nach der Königshöhe links ab von der Berliner Chaussee, wo wir einen erquickenden Einblick in die schön bewaldeten Höhen thaten, aus deren Schluchten die Morgennebel aufstiegen und einen duftigen Schleier über die Natur im grünen Frühlingsschmuck breitete. In der Natur vermiße ich Dich immer am meisten, lieber Ernst, und täglich muß ich bedauern, nicht einen solchen Frühspaziergang mit Dir zusammen machen zu können. Den übrigen Tag brachte ich zu Hause zu als Hülfe einer Schneiderin, die klein Anna’s Sommergarderobe vervollständigte. Morgens hatte ich Deinen Brief nach Berlin expedirt. Mittwoch Buß und Bettag machte ich früh eine schöne Entdeckungsreise auf dem bewaldeten Berge links von Brunnen, wo ich rings von grünen Buchen und jungen Eichen umgeben, sehr niedliche Durchblicke auf den Brunnen etc. hatte und so viel mit meinen Gedanken bei Dir war, daß ich darüber fast den Rückweg vergeßen hätte. Zu Haus hatte schon Alles gefrühstückt, und ich mußte mich allein am Mocca stärken. Das sind aber || so schöne Stunden, wo ich mit Dir in der lieben Natur allein bin, daß es verzeihlich ist, wenn ich sie so viel wie möglich ausdehnen möchte. Je mehr ich mit meinen Gedanken zu Dir spaziere, desto klarer werde ich mir bewußt, wie wir zu einander gehören, Eins sind, so daß ich mir wirklich halb ohne Dich vorkomme. Ich glaube, ich bin den übrigen Menschen herzlich langweilig in meiner Abgeschloßenheit der Gedanken und wage kaum meine vielen Briefschulden abzutragen, aus Furcht durch mein nüchternes Geschreibsel den Menschen zur Last zu fallen, was eigentlich unvereinbar mit meinem frischen Erni ist. Dir darf ich Alles ausplaudern und ohne Hehl mein Inneres mit all seinen Schwächen und Fehlern aufdecken, worin, wie Du weißt, lebhafte, aufrichtige und tiefe Gefühle ruhen, du Du lieb hast und ehrst und würdigst. O wüßten doch alle Menschen, wie selig, wie wonnig es ist, eine so liebe Seele, wie die Deine ganz zu besitzen und mit derselben ein harmonisches Geistesleben zu leben, wie es die Erde selten kennt. Je größer das gegenseitige Vertrauen, je tiefer wir in der Liebe wurzeln, desto leichter werden Mißtöne, die in keines Menschen Leben ausbleiben, verklingen, desto eher werden gegenseitige Schwächen übersehen und Fehler gebeßert werden; Ernst, ich bin in den letzten Tagen, wo ich in den Schleiermacherschen Briefen, von einer so harmonischen Ehe, wie seine spätere Frau als Frau von Willich geführt hat, gelesen habe, meines ganzen Glückes recht bewußt geworden und unendlicher Dank gegen Gott, der eine so schöne Seele Dir eingehaucht hat, gegen Deine Eltern, die sie so rein gehalten und entwickelt haben, und gegen Dich, der Du mich Deines ganzen Besitzes würdigst, erfüllt meine Seele. Ich kann Dir nur Gutes zutrauen und hierin liegt der Grund, daß ich fest glaube, Du werdest in Italien so viel leisten, wie zu Deinem Fortkommen nöthig ist; und sitztc Du mit Deiner Profeßorin erst in Ruhe im eigenen Haus, so wird die Arbeit auch beßer von Statten gehen u. Du || rüstig in der Arbeit fortschreiten.

Sonnabend. 21. Ich sehe aus den letzten am 19 geschriebenen Zeilen, daß ich ganz abgeirrt bin und zum Mittwoch zurückkehren muß. Um 9 Uhr hörte ich eine sehr gute Predigt, die mich recht erbaut hat. Nachher saß ich bei Hermine mit der Arbeit. Nach Tisch nach dem Kaffee machten wie Drei mit den beiden prächtigen Jungen einen sehr lohnenden Spaziergang nach der Königshöhe; die Sonne brannte auf der Chaussee auf dem Wege dorthin so heiß, daß mir Alles zu warm wurde; oben trafen wir Frl. Arndt mit ihren 30 Pensionärinnen, mit der wir ¼ Stündchen plauderten und mit inniger Freude auf die schönen Bäume herunter sahen. Am Morgen hatte ich auch schon eine große Freude gehabt; beim Herausgehen aus der Kirche gab mir Frl. Arndt den kleinen silbernen Zahnstocher, ein Andenken vom Vater, den ich schon verloren geglaubt hatte, wo wußte ich nicht; sie hatte ihnd am Montag bei sich gefunden. Auf dem Rückweg verplauderten wir ½ Stunde bei Aegidis, die von dem Louis die Nachricht hatten, daß es mit der Österreichischen Armee schlecht in Italien stünde, wovon die Zeitungen nichts berichten. Ich bin recht gespannt, wann ein ordentliches Zusammentreffen dort statt findet und wer Sieger bleibt; Deiner schnell fertigen und rasch handelnden Anna dauert das viel zu lange. Den Abend brachten wir Drei in eben nicht sehr intereßanter Weise bei dem Postmeister von Görne zu, wo ich bei eifriger Arbeit meine Gedanken zu Dir fliegen ließ, anstatt mit Frau Postmeisterin und Frau Apotheker mich zu unterhalten. Donnerstag früh wanderte ich meine Stunde im Schloßgarten ab, unter duftendem Flieder und Goldregen; nur ine Gesellschaft von Nachtigallen, bei denen eine Braut es schon aushalten kann. Außer mir war keine Seele im ganzen Garten, so recht nach meinem Sinn. Ich recitirte mir viele Gedichte, die ich im vergangenen Jahre hauptsächlich gelernt hatte, wobei alte, liebe Erinnerungen auftauchten. Da Kinderwäsche an dem Tagf war, beschäftigte ich mich hauptsächlich mit den Kindern, die Einem genug zug denken geben. So eine kleine Kinderseele ist doch etwas Reizendes; die natürliche Auffaßung der Verhältniße, in denen sie sich bewegen, die direkte, körperliche Aufnahme durch Auge und Ohr von den sie umgebenden Sachen und Worten ohne Verstümmelung oder Veredelung der Gedanken, die ein Erwachsener dabei hat, könnten diesem vielfach zum Beispiel dienen. Die Kinder blühen mit den Blumen um die Wette in dem schönen Frühlingswetter und sind vergnügt und übermüthig. Seit ein paar Tagen lies’t Karlchen Morgens seine Stunde, manchmal unter Thränenströmen im Garten ab. Ob Profeßors wohl auch einmal ein Gärtchen beim Hause haben werden? – Als die Kinder zu Bett waren, konnten Karl, der schon Nachmittag geturnt hatte, Hermine und ich der Lockung in’s Freie nicht widerstehen. Wir hatten vom Ruinenberg eine schöne Beleuchtung des Städtchens und seiner Umgebung; mehr noch feßelte mich aber nach der anderen Seite die Sonne, die glutroth hinter den bewaldeten Bergen unterging und mich an dasselbe Schauspiel erinnerte, das wir gemeinsam am 19 April vom Kreuzberg, und an Deinem letzten Abende in Heringsdorf genoßen. Die liebe Sonne hatte Dich ja auch in der Santa Lucia gesehen, drum sah sie mich auch so lieb und freundlich an, ehe sie gute Nacht sagte. Bei starkem Thau machten wir eine etwas naße Entdeckung eines neuen Weges, der leider nur zu schnell nach Haus zurückführte.

Der Abend ist leider hereingebrochen, ehe ich den Brief beendigen konnte, den ich eigentlich schon heute unterwegs wißen wollte. Ich habe bis 4 Uhr Nachmittags plätten müßen; nun kann ich Dir aber noch von einem herrlichen Spaziergang erzählen, von dem wir eben zurückgekehrt sind. Die Jungens sind tapfer 3 Stunden mit uns in den herrlichen Buchen umhergelaufen. Doch will ich nicht vorgreifen und Dirh || erst von gestern berichten. Karl bat sich dies Blättchen zum Schreiben aus, doch scheint mir der viele leere Raum Verschwendung. Gestern Morgen machte ich eine herrliche Tour, mit der beinahe 2 Stunden verstrichen. Da ich früh ausging, habe ich mir darum den Tag nicht verkürzt. Ich wanderte nach der leider sehr staubigen Neustädter Chaussee bis zum Alaunwerk, kletterte dort den Berg in die Höhe, den ich noch nie betreten hatte und folglich nicht kannte. Überrascht war ich von der lachenden jungen Buchenschonung, ähnlich der Heringsdorfer Solitüde, unter denen || die reizendsten Frühlingsblumen wuchsen, die zu Haus im Glase prangen mußten. Von da stieg ich nach dem Hammerthal herunter, ging eine Weile denselben Weg, den ich im vergangenen Jahr mit Dir zusammen gewandert war, erkletterte dann wieder den darauf folgenden Berg aus Kiefern, Eichen und Buchen gemischt, der mich nach langem Umherstreichen wieder auf die Chaussee brachte. Vormittag plauderte ich dann mit Dir, wobei die Stunden immer im Umsehen weg sind. Gleich nach dem Kaffee, gingen Hermine und ich mit den Jungens und Anna in den Schloßgarten, der im Fliederschmuck ganz reizend ist. Während wir Beide arbeiteten und mit Entzücken dem Herannahen eines Gewitters zuhörten, das leider an uns vorüber ging, trotzdem Abkühlung Noth gethan hätte, spielten die Kinder lustig herum, denen ich noch den Privatspaß bereitete, Kuchen auf den Bäumen wachsen zu laßen, den Hände und Magen sehr bald zu finden wußten. Karl war am Abend beim Grafen Haack; Hermine und ich lasen uns Schleiermachersche Briefei vor, die in der damaligen Kriegszeit geschrieben, vortrefflich auf unsere Jetztzeit paßen. Dabei fällt mir ein, habe ich wiederholt in den Zeitungen sehr eine neue Schrift Carl Vogt’s über Preußens jetzige Sachlage, die sehr unparteilich und kräftig geschrieben sein soll, loben sehen, was Dich, seinen Verehrer gewiß intereßirt. Von den Alten hatten wir auch heute Briefe, die wahrscheinlich zu Pfingsten herkommen werden und mich dann mit sich nach Berlin nehmen wollen. Da wirst Du recht in unserem Kreise fehlen und ich muß die Gegenwart durch die Zukunft verdrängen. In Steinspring geht es Mutter und Mutter Bertha mit ihrem Jungen gut und laßen nebst Hermine herzlich grüßen. Donnerstag kommt Helene mit den Kindern auf einige Tage her, während August Schwurgericht in Wrietzen abhält. Das Papier sagt gute Nacht, trotzdem ich Dir noch viel vorschwatzen könnte. Ein ander Mal, heute Lebe wohl, genieß alles Schöne doppelt für Deine treue Aenni mit.

[Beischrift von Karl Haeckel]

Freienwalde 21/5 59.

Lieber Bruder!

In der Hoffnung, daß meine Erinnerungen Dirj endlich einmal einige Zeilen entlocken werden, bitte ich mir doch endlich mal eine direkte Antwort aus, um so mehr, als die Deine alle u. jede Äußerungen, die nicht in dem Tagebuchsberichte stehen, für sich behält. – Ich vermuthe, daß Du bei eintretender Hitze bald nach Capri gehst, und wünsche nur daß Du dort mit den Felszacken nicht mehr, als nöthig ist für einen seiner Braut sich erhalten sollenden Jüngling, Dich bekannt machst. Laß doch die Palmen sitzen, wo sie der Herrgott hingestellt, damit Du nicht nach greifen kannst. Uebrigens glaube nur nicht daß El Pagano Dich für eine einfache Pension beherbergen wird; Du wirst für Deinen Doppelappetit doch mindestens das 1½ liche zahlen müssen. – Uns geht es gut. Carl, der dicke Strampel turnt mit, u. ich auch jetzt regelmäßig. Mit Anna treibe ich Englisch. Arbeit gibt es jetzt nicht viel, Vom 29 dieses Monatsk – 6 Juni gehe ich nach Westphalen zur General-Versammlung in Bergwerkssachen. – Später denke ich kleine Ausflüge nach Neu-Ruppin (zu Steinbach u. Sohn Carl) und Steinspring zu machen, wenn – ich nicht eingezogen werde. Das 2te Aufgebot wird mich wohl zunächst in Ruh lassen. Wie sich das alles noch gestalten wird u. wann es etwa zum Klappen kommt, läßt sich zur Zeit gar nicht absehen. – Ade, herzlichen Gruß von Deinem Karl.

[Adresse]

Al Signore Dottore | Ernesto Haeckel (Prussiano.) | p. ad. Signore Ernesto Berncastel | Farmacia Prussiana | Largo S. Francesco di Paola No 7. | franco fin a Napoli | Napoli (Italia). | via Marseille

a gestr.: ge; b gestr.: Abends las Karl uns; c korr. aus.: hast; d korr. aus: ihm; e korr. aus: von; f Papierausriss, Wort sinngemäß ergänzt; g Papierausriss; Wort sinngemäß ergänzt; h Beginn der eingefügten Beischrift von Karl Haeckel; i gestr.: Predigten; eingef.: Briefe; j eingef.: Dir; k eingef.: des Monats

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
21.05.1859
Entstehungsort
Entstehungsland
Zielort
Neapel
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 34451
ID
34451