Sethe, Anna

Anna Sethe an Ernst Haeckel, Frankfurt (Oder), 1. Februar – Steinspring, 4. Februar 1859

Frankfurt a/O d. 1.2.59.

Tausend Dank, mein lieber, lieber Schatz, für den ersten Gruß aus der Ferne, den ich voller Jubel heute Morgen empfing. Ach, ich hatte mich schon so sehr nach einem Brief gebangt, und vollends, als ich Sonntag Mittag meinen ersten nach Genua expedirte, glaubte ich bestimmt, auch bald einen erhalten zu müßen. Ich habe außer meinen Zeilen den Brief sofort an die Alten expedirt, die sich gewiß nicht weniger über die guten Nachrichten gefreut haben. Daß Du Sonnabend und Sonntag so herrliches Wetter hattest, war meine größte Freude; morgen zur Paßage des St. Gotthard erbettele ich mir auch welches für Dich; grüße die Berge von Deinem Lieb, das unaufhörlich an Dich denkt. Daß Du alle Deine früheren Bekannten gesehen und gesprochen hast, ist wieder ein Glücksgriff von Dir (denn August Steinsack zu verfehlen, war Dir wohl nicht schwer? Das Häschen vertrat ihn gewiß würdig). Wie wohl es thut, alte, liebe Bekannte wieder zu sehen, an deren Freundschaft Zeit und Raum nicht gerüttelt haben, empfinde ich hier im lieben alten Frankfurt auch. Auf’s Freundlichste werde ich von Allen empfangen und Jedermann freut sich über mein glückliches Gesicht, den Spiegel meiner nur in Dir lebenden Seele. Ich meine oft, ich müßte die ganze Welt umarmen und der Natur laut mein Glück verkünden, bist Du mir auch noch so fern; Dein hoher, edler Geist ist bei mir, schläft mit mir ein, wacht mit mir auf, führt lange Gespräche mit mir im Schlaf, und treibt mich den ganzen Tag a zu allem Guten an. Sehe ich die Leute auch noch so vergnügt, ich komme mir am reichsten, am glücklichsten vor in dem Besitze eines so theueren liebenswerthen Schatzes, den mir selbst Italien, die ganze Welt nicht entwenden kann. O, ich liebe Dich so, mein herziger Schatz, daß Du mich ewig lieben mußt; je mehr ich Dich entbehre, desto tiefer fühle ich Macht der Liebe, die mich an Dich kettet, und sehne ich mich so recht innig nach einem Kuß, nach meinem lieben, friedlichen Plätzchen in Deinen Armen, sehe ich Dir in Dein liebes Auge, freue mich auf’s Wiedersehen und werde ruhig mit dem Bewußtsein meines heiligen, unverlierbaren Schatzes, den ich Gott täglich im Gebet empfehle. Ach schelt mich nicht, lieber Erni, daß ich Dir das Herz weich mache; es ist es gewiß schon ohnehin, allein meine Gefühle müßen einen Ausdruck finden, und von Dir allein weiß ich nicht mißverstanden zu werden. Hab’ Muth, mein Schatz und laß Dich die Trennung nicht gereuen; Du sagst ja selbst, der schönste Lohn wartet unser, und reicher werden wir Beide in der Zwischenzeit werden. –

Ich bin sehr gespannt auf Deinen ferneren Reisebericht, auf Deinen Anfang in Italien, das Dir so ruhig, wie möglich erscheinen möge. Selbst hier im Norden scheint der Frühling mit || Gewalt den Winter vertreiben zu wollen; ob dieser es sich gefallen läßt, ist sehr die Frage bei seiner starren, eisigen Natur. Die Luft ist hier herrlich, da denke ich, wird in Italien vollständiger Frühling sein, den ich seit vergangenem Jahr ganz besonders in’s Herz geschloßen habe. Übermorgen komme ich in den Wald, auf den ich mich sehr freue. Bernhard ist heute schon wieder zurückgereis’t und Donnerstag fahre ich mit Bertha und Klärchen nach, die Beide sehr wohl sind und Dich herzlich grüßen läßt [!]. Ich bin so froh, daß ich für die nächsten Tage weiß, wo meine Gedanken Dich aufsuchen können, wie ich es Dir gar nicht sagen kann. Nach der Karte, die ich mir mitgenommen habe, führt Dein Weg vom St. Gotthard aus dem Teßin herunter; dem italienischen Boden zu. Gott schütze Dich auf demselben und bewahre Deine Änni vor schwerem Leid! Erhalte Dir Augen und Sinne offen für Alles Schöne und Intereßante, was Italien an Kunst und Natur Dir bietet und auch in ästhetischer Beziehung möge die plastische, in sich vollendete Schönheit auf Deine wilden, leidenschaftlichen, aber wahren, reinen Gefühle einen sammelnden, einheitlichen Einfluß ausüben; Maß fehlt uns Beiden, doch das läßt sich mit gutem Willen erringen; es wird kein Meister geboren, und nach meiner Ansicht, sind erst wahre, tiefe, edele, wenn auch leidenschaftliche Gefühle nothwendig, soll die Seele Schönheit und deren Hauptbeding: Maß erreichen – .

Ich habe hier etwas im Insekt von Michelet gelesen und staune über die Größe in der kleinsten Thierwelt, und dennoch fühle ich mich nicht heruntergesetzt durch diese Größe; ebenso, wenigstens sehr ähnlich organisirt wie wir Menschen, mit einem edeleren Zweck in die Welt gesetzt, als von den Menschen zertreten oder gegeßen zu werden, wie die kindliche Auffaßung der Thierwelt gewöhnlich ist, also auch hierin unserer Lebensaufgabe nicht unähnlich, fehlt ihnen, wenn auch nicht ganz, doch der tiefe Geist, mit dem wir zur Klarheit über Welt und Schöpfung kommen, der uns die seligsten Gefühle eingibt, kurz uns Mensch sein läßt in des Wortes edelster Bedeutung. Kann ich auch nicht ganz klar über Gott und die letzte Bestimmung des Menschen werden, ich bin froh, Mensch zu sein und an dem großen Weltgebäude schwache Hand anlegen helfen zu dürfen. Ich weiß, Du denkst hierin nicht ganz so wie ich, vielleicht mißverstehst Du mich auch; ich bin nicht stolz, noch eitel (ich wüßte nicht worauf) allein || mein menschliches Selbstbewußtsein ist gewachsen, seit ich Dich besitze, ich fühle mich stark in meinen Innern durch den reichen, edelen Geist, der von Dir auf mich übergegangen ist. Du lieber Schatz, hab’ Dank für alle Deine Liebe und habe Geduld mit mir, ich werde gewiß beßer. Mein Herz ist gut und meine Gefühle wahr. –

Bis Sonntag weißt Du hoffentlich aus meinem Brief, den ich nach Genua poste restante adreßirt habe, meinen Lebenslauf. Nachdem ich diesen Brief beendigt hatte, trug ich ihn zu Post, und ging von da zu Petersens, um dem Silberpaar Glück zu wünschen, die sehr munter und heiter waren; Tante Malchen sah sehr nett im silbernen Kranz aus; ich freute mich am meisten über die herrlichen Blumen; die schönsten Camelien, Maiblumen und Veilchen schmückten alle Zimmer. Ich aß bei ihnen zu Mittag nur in der Familie. Meine Tischnachbaren [!] waren Herr Kneiß, Bruder von Ferdinands Braut, der nach einem sehr netten Toast von Bernhard auf das Silberpaar, sich verpflichtet fühlte zur Nachfolge des guten Beispiels zu ermahnen und die jungen Damen, namentlich die Bräute leben ließ. Ich ließ Dich in Champagner leben und alle Gläser erklangen auf Dich, daß ich es in Würzburg zu hören glaubte. Nach längerem Herumstehen und Plaudern nach Tisch war ich so müde geworden, daß ich in einer Sophaecke einschlief und zwar so fest, daß ich nichts davon gemerkt hatte, wie man vor mir den Theetisch zurecht gemacht hatte, da zum Abend noch mehrere Bekannte erwartet wurden. Ich mußte mit Widerstreben bleiben, bekam aber noch sehr schönen Gesang zu hören, von Herrn Kneiß u. Schwester, Herrn Vierling, der in Berlin die Bachschen Koncerte leitet und Frl. Höppner, die mit einer prächtigen Altstimme wundervoll vortrug. Am besten gefiel mir Gretchens Beichte, Duett für Sopran und Alt, wobei ich an meinen Faust dachte. Benneckes brachten mich zu Hause, wo ich lange vor innerer Unruhe nicht einschlafen konnte. Gestern Morgen genoß ich wieder den herrlichsten Sonnenaufgang; freilich brachten die früh so schönen Wolken den unaufhörlichsten Regen den Tag über, der Dir die Fahrt nach Basel auch getrübt haben wird. Desto schöner und klarer war es heute, so daß Du die Alpen gewiß herrlich gesehen hast; vielleicht die schöne kleine Tyrolerin oder wer war es, der Dir damals die Zeit so angenehm verkürzt hat. Trotz Regen mußte ich in Agnes’ Gesellschaft ausgehen, zunächst || einige Besorgungen machen, wobei ich auf der Straße einen herzlichen Glückwunsch von meiner früheren Lehrerin Frl. Waltersdorf erhielt; dann brachte ich Anna Kalsch, Magdalene Dieckhoff’s Cousine einen Brief von letzterer und ging dann zu Bertha, die bei ihrer Schwägerin Clara wohnt. Bernhard entschied dort, daß wir Donnerstag reisen sollten, weßhalb ich von dort aus sofort an Mutter schrieb und bat mir etwaige Briefe gleich zukommen zu laßen; nicht ahnend, daß mein Schatz schon direkt für mich gesorgt hatte. Nach Tisch, während die Landräthin, die augenblicklich sehr an Gicht leidet, schlief, verplauderte ich mit Agnes ein liebes Stündchen und nach dem Kaffee kam Frau Bennecke, die viel von Dir sprach. Als sie weg war, kam zufällig von dem Jenaer Jubelfest die Rede, und ich las ihnen Deine Briefe aus Jena vor, die Beide sehr intereßirte und amüsirte. Die Landräthin behauptete, danach ein klares Bild von Dir erhalten zu haben und konnte mir nicht genug dafür danken. Ich mußte bei allen Orten und Wegen denken: Solltest Du die wohl auch noch einmal kennen lernen? Nach dem Abendbrod spielte ich nach langer Zeit etwas Klavier und nahm mir wieder fest vor, nach meiner Rückkehr nach Berlin Unterricht zu nehmen und in Deiner Abwesenheit so viel Fortschritte wie möglich zu machen. Die Musik ist eine gar zu prächtige Brücke für die Gedanken, denen ich jetzt für heute eine Grenze ziehen muß, es ist 11½ Uhr, da muß die Änni zu Bett. Gute Nacht, felicissima notte, herziger Schatz, schlaf süß und gut.

Da bin ich schon wieder 7 Uhr Morgens, lieber Erni und wünsche Dir einen guten Morgen und recht, recht klares, schönes Wetter, daß Dir die Schneehäupter nicht entgehen. Wirf für mich einen Blick auf dieselben mit und Glück auf die Fahrt. Die Sonne scheint ohne Wolken ihr Lager zu halten, ein gutes Zeichen für den ganzen Tag. Gestern Morgen machte ich den Kaffee selbst, der sehr gut gerieth; ich war in Gedanken ein paar Jahr weiter; nur wollte und wollte der liebe blonde Profeßor gar nicht erscheinen, sonst hätte der Kaffee noch einmal so gut geschmeckt. Abwesend bin ich vielfach beim Plaudern, womit ich sehr geneckt werde. Wie ich beim Anziehen war, kam Dein lieber, lieber Brief an, der alles Leid vergeßen machte; denn Änni war gut und lieb. Hast Du auch Max Schultze von mir gegrüßt? || Gewiß nicht. Also Kölliker kannte mich noch, worüber ich einige Zweifel hege. Unter dem wunderbaren Hute konnte er unmöglich ein Gesicht erkennen. Herrliche Stunden haben wir dort verlebt, die in der Erinnerung mir die freundlichsten Bilder vor die Seele rufen. Den Blick vom Käppele könnte ich malen, ebenso auch den Rückweg von einem hohen Berge, auf den Du uns einzeln gezogen hattest, der Blick auf Fluß und Stadt und die gegenüberliegenden Berge. Auch das Frühstück am anderen Morgen beim Regen in der Gartenlaube des Hotels habe ich nicht vergeßen; ob der Vetter ganz aus den Gedanken gekommen ist, bin ich nicht recht klar darüber. Gefallen hatte er mir wenigstens sehr. Nachdem ich gestern alle einzelnen Zettel durchstudirt hatte, schrieb ich an Deine Alten, schickte den Brief aber noch nicht ab; dann rüstete ich mich, um mit Agnes mehrere Besuche zu machen; zunächst zu Anna Schultze, Tochter der Predigers Schultze, ein sehr liebes, angenehmes Mädchen, die ich noch von früher her kannte; als wir eben fortgehen wollten, kam sie her; wir plauderten noch etwas zusammen und b dann begleitete sie uns auf weiteren Wegen. Ich ging zur Stadträthin Petersen herein, die am Tage zuvor fürc ihre silberne Hochzeit mit heftiger Migräne büßen mußte; es ging beßer. Ich erzählte von meinem Brief und Deiner Reiseroute; als Marie, die Dichterin der Prinzeßin Ilse und der Irrlichter, den Namen Lugena hörte, rief sie aus: Ach einmal in Lugena aus dem Fenster sehen! Ich theilte diese Ansicht nicht, denn wenn ich einmal in so schöner Gegend wäre, hielt ich es nicht lange am Fenster aus, sondern müßte hinaus in die herrliche Natur; stummen Zuschauer spiele ich ja überhaupt nicht leicht. Dann besuchte ich Benneckes, die Alle sehr freundlich und herzlich waren. Er erzählte mir, Dich schon als dreijähriges Kind gekannt zu haben, als welches Du Deiner Mutter viel durch Deine Wildheit zu schaffen gemacht hättest. Ich sagte, wenn er nicht ein Strick || wäre, paßte er ja nicht zu mir, was allgemeinen Jubel erregte. Das sind so treue, biedere Leute, daß man da schon seiner Zunge freien Lauf laßen kann; ich denke, Du bist mir nicht böse deßwegen. Ich sollte eigentlich Nachmittag mit Agnes mit Petersens und Bertha zusammen sein, allein wir wollten lieber zu Hause bei der Landräthin bleiben, die schon sehr früh zu Bett geht und in der Zeit also am meisten von uns hat. Ich habe sie sehr gern und fühle mich sehr gemüthlich in ihrer Nähe. Zu Hause angekommen, schrieb ich mir Deinen ersten Reisebericht ab und expedirte dann Alles an die Alten, die heute Morgen wohl schon dadurch erfreut worden sind. Nachmittag kam Anna Schultze noch auf ein paar Stunden her, mit der Agnes und ich in Jugend-Schulerinnerungen schwelgten, wobei sich denn ergab, daß ich alle Hauptstreiche angegeben hatte, also meine strickige Natur schon früher zum Vorschein gekommen ist. Glückliche Jahre habe ich aber in der Schulzeit verlebt, die ich mir nicht nehmen laßen möchte; ich bedauere die Kinder, die sie nicht besuchen können. Die kleine Schrappe, Bertha’s Klärchen besuchte uns auch Nachmittags und war sehr niedlich. Nur gefiel mir nicht, daß sie sich vor Agnes kleinem, niedlichen Kanarienvogel fürchtete und schon in seiner Nähe laut aufschrie. Abgesehen davon, daß sie dadurch keine zoologischen Paßionen verräth, müßte ein Waldkind die Vögel doch ganz besonders lieb haben. Ich werde in den nächsten Tagen nähere Bekanntschaft mit dem Vogel machen; Agnes hat in ihrem Lesezirkel eben L’oiseau von Michelet erhalten, den sie mir auf acht Tage mitgeben will. Ich freue mich sehr darauf, weil ich den Verfaßer schon aus dem Insekt sehr lieb habe und nebenbei mich endlich wieder etwas in der französischen Sprache üben werde. Gestern Abend nach Tisch schrieb ichd an Dich, nur war mir sehr laute Ballmusik aus dem Nebenhause sehr störend, der Brief mag also danach gewesen sein. Jetzt muß || ich auch wieder abbrechen, da es Zeit ist, sich anzuziehen. Schreibe mir ja im nächsten Brief, ob Du meinen Brief in Genua erhalten hast, oder auf wie viel Tage man die Reise eines Briefes veranschlagen muß, ob die Adreße richtig war etc. etc. Den Brief zum 16 schicke ich auch noch nach Florenz; bist du nicht mehr dort, mußt Du ihn Dir nachschicken laßen.

Donnerstag Abend 9 Uhr.

Seit heute Nachmittag 3 Uhr sitze ich im lieben kleinen Forsthaus, mein herziger Schatz, von wo aus ich Dir einen sonnigen Gruß sende; heute nach Genua, wo Du hoffentlich glücklich und wohlbehalten angekommen bist. Halte Dich nur nicht zu kurz überall auf, sondern genieße Kunst- und Naturschönheiten, wie sie Dir Ort und Gegend bieten; wer weiß, ob Du sie jemals wieder siehst. Morgen machst Du vermuthlich die schöne Fahrt von Genua nach Livorno, und dann nach Firenze; ich begleite Dich überall hin. –

Gestern Morgen waren wir bis Mittag zu Haus, dann machte ich mit Bertha zusammen einen Besuch bei Frau Brodmann, einer sehr guten, netten Frau, die früher in Posen lebten [!], und bei der Frau v. Frankenberg, geb. Sack. Nach Tisch war ich ein paar Stunden mit der Landräthin allein, weil Agnes Unterricht in einer Nähschule geben mußte. Sie zeigte mir sehr hübsche Ansichten von Schwarzburg, das sie auch sehr liebt und vom Harz, wovon ich die meisten Punkte vom vergangenen Jahr her kannte. Dann machte ich Kaffee und dachte viel an spätere Zeiten, wenn zwei glückliche Leutchen sich gegenüber sitzen und sich den Kuchen gut schmecken laßen. Ach Erni, wie glücklich werden wir sein; ich bin ganz selig in dem Gedanken. Später kamen Anna und Emmy Bennecke, mit denen geplaudert wurde. Abends gingen Agnes und ich im furchtbarsten Regen zu Petersens, wo wir einen sehr gemüthlichen Abend verplauderten und ich viel von Dir erzählen mußte, natürlich sehr mit Widerstreben, denn wer || spricht wohl gern von Jemandem, den man nicht lieb hat? Ich denke immer Jedermann muß Dich lieb haben, und fast will es mir auch so erscheinen. Der Rückweg bei herrlichem Sternenhimmel war köstlich; ich trug jedem einzelnen meinen Gruß für den fernen Erni auf, vermuthlich dem Jupiter und Saturn, die mich mit ihren funkelnden Augen so treuherzig ansehen, als wollten sie sagen, ja den lieben großen Blondkopf kennen wir recht gut und wollen ihn treu im fernen Süd beschützen. Mir war beim Schlafengehen besonders bang nach Dir und spät erst schlief ich mit meinem ersten und letzten Gedanken ein: Heute Morgen packte ich meine Sachen etwas zusammen und war dann noch ein paar Stunden mit Agnes und ihrer Mutter zusammen, die mich dringend bat, auf der Rückreise aber länger zu verweilen. Um 10 Uhr fuhr ich auf den Bahnhof, wo ich mit Bertha und dem kleinen Klärchen zusammentraf. Um 10¾ Uhr fuhren wir ab; der Weg über e Landsberg, Küstrin, Friedeberg führt meist durch die Ebene, die mit hübschen Dörfern besetzt ist; deren Kirchen meist sehr nett im gothischen Styl erbaut, auf der Anhöhe liegen, von einer schmalenf, monotonen Hügelkette, die sich zu beiden Seiten hinzieht. Die Oder ist sowohl bei Landsberg, wo sie die Warthe aufnimmt, wie bei Küstrin sehr breit, aber flach. Dir werden diese Schilderungen höchst lächerlich und jämmerlich vorkommen im Vergleich zu Allem Schönen, was Italien Dir jetzt bietet, da ich aber weiß, daß Du Dich für Alles intereßirst, was in mir und um mich her vorgeht, so vertraue ich es kühn dem Papier an, das g Dir hoffentlich recht bald zu Händen kommt. Um 2 Uhr kamen wir in Altkarbe an, leider bei Regen; wir fanden Bernhard mit dem Wagen vor, der uns gegen drei Uhr im kleinen Forsthaus absetzte. Ich hatte theilweis unterwegs im Vogel gelesen, der auch sehr intereßirt; aus dem bisher Gelesenen, der || Einleitung, erfuhr ich, daß Michelets Frau mit großer Paßion die Natur, namentlich der Hausthiere beobachtet hat, wozu sich in ihrer Jugend auf einem schönen Landsitz des Vaters, unter ihren Geschwistern so gut wie allein stehend, die beste Gelegenheit geboten hat. Ich muß für heute wieder abbrechen, da Abendbrod gegeßen werden soll, ein vaterländisches Gericht: Pellkartoffeln und Hering, die Du in Italien nicht bekommen wirst. Nachher will uns Bernhard etwas vorlesen, wo ich sehr mit einverstanden bin.

Freitag Morgen 11 Uhr.

Guten Morgen, herziges Strick; die erste Nacht in meiner neuen Heimath war nicht die schönste; ich konnte vor eisig kalten Füßen gar nicht einschlafen, bis ich endlich um 4 ½ Uhr auf den schlauen Gedanken kam, mir Strümpfe anzuziehen, in Folge deßen ich bis 7 Uhr herrlich schlief. Um 8 Uhr scheint hier erst gefrühstückt zu werden; dann habe ich Staub gewischt und Blumen begoßen und sehr viel Zeit mit dem kleinen Klärchen vertrödelt, die wirklich allerliebst und sehr poßierlich ist. Sie hat große blaue Augen und kastanienbraunes Haar, gut gebaut; seit 4 Wochen läuft sie allein, hält aber die Ärmchen dabei immer noch sehr ängstlich. Bertha ist sehr steif und unbehülflich, weßhalb Bernhard mir sehr dankbar ist, ihr die Sorgen im Haus etwas abnehmen zu können. Ich freue mich sehr auf die Ruhe und endlich die lieben Bücher lesen zu können, die Du mir zu Weihnachten geschenkt hast. Bernhard las uns gestern Abend aus dem Insekt über die Bienen vor, was uns Alle Drei sehr intereßirt hat; das zarte Liebesverhältniß der Biene zur Blume hat etwas ungemein Poetisches; die eine, die ihren Lebenskeim von der anderen erhält, sehnt sich nach der anderen, wie ich mich nach Dir sehne, von dem Licht und Leben mir zuströmt, von dem getrennt ich meinen Blumenkelch, wenn ich einen besitzen sollte, zuschließe, wie die Blume nach einem Tage voller Liebesglück. Ich weiß aber, wer ihn öffnen kann, und hegt und pflegt, so daß aus dem harten, rauhen Halme vielleicht doch noch eine Blume sich entwickelt, die unter dem Schutz der starken Eiche nicht geknickt werden kann. Ich warte in Geduld, bis sie mich in ihre Arme || aufnimmt. Laß Dich die Trennung nur auch nicht gereuen, sondern hoffe auf eine glückliche Zukunft, deren Grundstein Du in dem schönen Italien legen willst. Ich bin bei Dir und bleibe bei Dir und empfehle Dich dem Schutze Gottes. Dein Bildchen hat schon ein sehr nettes Plätzchen, von wo Du auf grüne Saatfelder und einen kahlen Fliederbaum siehst, zuweilen aber auch auf ein kleines Wesen, das am Fenster sitzt und fleißig arbeitet oder lies’t. Daß Du Dir noch eine Reisetasche gekauft hast, um alle Kleinigkeiten zu bergen ist recht gut; vergiß nur nicht einmal eins von den Sachen, sonst möchtest Du sehr in Verlegenheit gerathen. Ich denke heute doch einen Brief von Mutter zu bekommen und hoffe mit guten Nachrichten; da werde ich denn auch wohl etwas von Deinen Alten hören, die sich gewiß nach uns Beiden sehnen, wenn Ottilie Lampert noch nicht da ist. Hoffentlich hat Tante Bertha sich beruhigt; ihr Abschied war sehr kühl und sie sehr erstaunt über meine Abreise, obgleich ich ihr Donnerstag Morgen dieselbe mitgetheilt hatte. Bernhard ist im Revier, wohin ihn der große schwarze Hund Boncoeur begleitet hat. Außer ihm besteht die Hausbewohnerschaft noch aus zwei Mädchen: Karoline (Kindermädchen) und Jette und dem Knechte Johann und noch zwei Teckeln: Venz und Schinz und drei sehr naschigen Katzen. Auf dem Hofe existiren außerdem noch drei Kühe und Lotte und Liese, die beiden Pferde, von denen ich letzteres ganz besonders gern habe seiner Kühnheit und seines Muthes wegen. Bertha läßt herzlich grüßen. Ich muß eilen, denn der Brief muß fertig sein, wenn der Postbote kommt und länger warten laßen möchte ich Dich auch nicht. Ich bitte Dich um ein Gleiches und herze und küße Dich tausend Mal. Ich bin sehr gespannt, wie weit die Jahreszeit in Italien vorgerückt ist, was Du für Wetter auf Deiner Reise gehabt hast und was Italien überhaupt für einen Eindruck macht, obgleich Du hierüber wohl noch nicht recht urtheilen kannst.

Ach, lieber, guter Schatz, bleib’ gesund und munter und Deiner Änni gut, die bald wieder schreibt.

a gestr.: an; b irrtüml. Dopplung: und; c eingef.: für; d eingef: ich; e gestr.: Küstrin,; f irrtüml.: schmahen; g gestr.: es

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
04.02.1859
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 34433
ID
34433