Dorsch, Hannah

Hannah Dorsch an Ernst Haeckel, Zürich, 18. Februar 1909

Zürich V, d 18. Febr. 1909

Englisches Viertel 30 II

Sehr verehrter Herr Professor!

Ein wenig verspätet zwar, aber in alter Herzlichkeit Ihrer gedenkend, komme ich dieses Mal zu Ihnen mit meinen Glückwünschen zu Ihrem Geburtstage. Sie haben denselben schon vor zwei Tagen gefeiert, und gewiss haben Ihnen Unzählige ihre guten Wünschea überbracht. Nehmen Sie dazu auch die meinigen heute! Bleiben Sie noch recht lange gesund u. stark, mutig und froh! Möchte Ihnen viel Freude blühen und noch mancher Wunsch erfüllt werden in dem Lebensjahr, das Sie soeben || begonnen!

Ich hoffe, dass es Ihnen gut geht, lieber Herr Professor. Lange habe ich – auch indirekt – Nichts von Ihnen gehört. Der schwere Schlag, der mich im letzten Frühjahr durch den Tod von Prof. Dodel, meines guten „Vaters“ getroffen, hatte mich tief gebeugt; u. ich hatte Bedürfnis, mich ganz zurückzuziehen auf einige Zeit. Ich habe es gemacht, wie Sie es gelegentlich nach Schicksalsschlägen machen: ich blieb mit mir selbst u. der Natur auf ein Weilchen allein. Mehrere Monate habe ich im Herbst im Tessin verbracht, im „sonnigen Süden“, den mein guter Vater immer so sehr liebte.

Nun habe ich mich unterdessen || verheiratet u. lebe wieder in Zürich. Mein Mann ist Philologe, (alte Sprachen u. israelitische Geschichte), und es ist so schön, dass wir gemeinsam wissenschaftliche Interessen pflegen u. mit einander studieren können. Vaterchen würde sich über meine Heirat herzlich gefreut haben, denn er kannte meinen Mann sehr gut; es war derselbe im letzten Winter täglicher Gast u. Hausfreund in der Villa Erika an der Rigistrasse.

So sind auch die gemeinsamen Erinnerungen an unsern lieben Verstorbenen jetzt ein Bindeglied zwischen uns Beiden. Sein Bild ist in unserm Studierzimmer aufgehängt; u. kein Tag vergeht, an dem wir nicht von ihm sprechen, von seiner kindlichen Fröhlichkeit, || von seiner trotzigen Widerstandskraft u. von seinem aufrechten Mut den Stürmen des Lebens gegenüber.

– Ich beabsichtige nun, ein Gedenkbuch für unsern verstorbenen Freund Dodel herauszugeben u. es in einem guten Verlage (vielleicht Neuer Frankfurter Verlag) erscheinen zu lassen. Es soll eine zwanglose Reihe von Aufsätzen über Arnold Dodel enthalten. Material steht mir ja genügend zur Verfügung. Mein Mann wird sein Charakterbild zeichnen, sowie es ihm im intimen Verkehr sich enthüllt hat, – mit all seinen schroffen Gegensätzen u. mit dem einigenden Bande, das dieselben verknüpfte. Dodel als Lehrer wird von einem seiner dankbarsten Schüler (Botaniker) geschildert werden. ||

Dr. Juliusburger (Berlin – Steglitz), der ihm ja sehr nahe stand, wird mir – wie ich hoffe – „Dodel als Freund“ bearbeiten. Ein Jugendfreund von ihm wird mir persönliche Erinnerungen an ihn aus seiner Studienzeit beisteuern; ein anderer wird ihn als Künstler behandeln, u. s. f. Ich glaube, auf diese Weise ein hübsches Werkchen zu stande bringen zu können, das den Freunden des lieben Verstorbenen in allerlei Landen Freude bereiten und ihm noch neue Freunde gewinnen dürfte. Vielleicht geben wir auch ein paar gute Bilder bei.

Nun komme ich auch zu Ihnen mit einer Bitte. Schlagen Sie sie mir nicht ab, lieber Herr Professor! ||

Ich möchte auch Sie um einen Beitrag zu diesem Büchlein bitten. Es wäre ein unersetzlicher Mangel, wenn unter den Worten seiner Freunde und Derer, die seinen Wert erkannt haben, nicht auch ein Wort über ihn aus Ihrer Feder zu finden wäre. Sie wissen, mit welcher Bewunderung und Dankbarkeit der Verstorbene zu Ihnen aufgeblickt hat, – war doch auch das letzte originale Werkchen, das er der Öffentlichkeit übergab, ein Lorbeerblatt, das er gern dem Kranze Ihres Ruhmes, – und mit welcher Begeisterung! – einflocht.

Ich möchte Sie mit meiner Bitte nicht belasten, lieber Herr Professor. Für ganz wenige Druckseiten wäre ich Ihnen sehr dankbar. Vielleicht würde es Ihnen passend || sein, „Dodel als Monist“ zum Vorwurf zu nehmen? Vielleicht haben Sie irgendwelche persönliche Erinnerung an Dodel, die sich zur Aufzeichnung eignete? Oder würde Ihnen das Thema „Dodel als Kämpfer“ angenehm sein? Ich betone, dass ich Ihnen selbstverständlich für jeden Beitrag zu meinem Buche ungemein dankbar sein werde, in welche Form immer Sie ihn zu kleiden belieben. Schon wenige Worte von Ihnen würden den Wert des von mir geplanten Werkchens bedeutend erhöhen. Und ich wage zu hoffen, dass Sie unserm verstorbenen Freunde, als einem treuen Mitkämpfer, und seinem Andenken in der Nachwelt diesen Dienst nicht versagen werden. Meines wärmsten Dankes || seien Sie gewiss!

Vielleicht wäre es Ihnen möglich, mir bald mit einigen Zeilen mitteilen zu lassen, ob ich auf die Erfüllung meines Wunschs rechnen darf? Ich möchte nicht eher endgültig disponieren, als bis ich Ihrer Antwort gewiss bin.

Zum Schluss bitte ich Sie noch, diese Angelegenheit vorerst vertraulich zu behandeln.

– Nehmen Sie nochmals meine herzlichsten Wünsche, hochverehrter Herr Professor, und seien Sie gegrüsst von

Ihrer sehr ergebenen

Hannah Lewin-Dorsch

Zürich V, Englisches Viertel 30 II

a korr. aus: Wünschem

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
18.02.1909
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 3419
ID
3419