Dorsch, Hannah

Hannah Dorsch an Ernst Haeckel, Lugano, Villa Monteverde, 27. Februar 1907

Lugano, d. 27.II.1907

Villa Monteverde

Hochverehrter Herr Professor!

Aus dem gedruckten Briefchen, welches Sie neulich an Herrn Professor Dodel sandten, und für welches derselbe Ihnen bestens dankt, haben wir ersehen, daß Sie nächste Woche nach Italien reisen werden; und wir nehmen an, daß Sie durch Lugano kommen werden. Da muß ich Ihnen doch gleich ein paar Zeilen schreiben und Sie bitten, dann nicht ganz unbemerkt an uns vorbeizufahren. Herr Professor ist schon am Einpacken seiner Bücher beschäftigt, sonst würde er Ihnen selbst schreiben; so schreibe ich Ihnen heute in seinem u. meinem Namen zugleich; seine Wünsche, Sie zu sehen, decken sich ganz mit den meinen. Wir würden uns zu sehr freuen, wenn Sie bei uns Halt || machen wollten. Freilich wissen wir ja nicht, ob es Ihren Reiseplänen nicht zuwiderläuft, zu unterbrechen; manchmal fährt man gern gleich durch, um schnell ans Reiseziel zu kommen, – besonders wenn man elend und erholungsbedürftig ist. Andrerseits aber würde es gerade dann Ihnen auch vielleicht gut thun, eine kleine Pause auf der Reise zu machen, damit dieselbe Sie nicht zu sehr ermüdet: Wir wollen Sie daher mit unserer Bitte nicht belästigen und bestürmen; aber dessen wollen Sie sicher sein, daß Sie uns mit einem kurzen Aufenthalt hier eine herzliche Freude machen und uns sehr willkommen sein würden als lieber, hochgeehrter Gast, – wollten Sie nun für wenige Stunden kommen, oder für eine Nacht, oder auch für ein paar Tage! Sie müssen Sich nur nicht daran stoßen, daß im Studierzimmer schon einige gepackte Bücherkisten stehen; wir haben schon früh mit den Vorbereitungen zur Überführung der großen Bibliothek nach Zürich || begonnen, um uns nicht übereilen zu müssen. Der Umzug selbst findet ja erst Ostern statt. Und der Gedanke daran wird uns weder die Schönheit noch die Behaglichkeit der Stunden trüben können, die Sie uns eventuell schenken.

Wir haben hier in der letzten Zeit schönes, sonniges Frühlingswetter; draußen an den Berghängen wachsen Schneeglöckchen, Leberblümchen u. Primeln; Sie würden auch Ihre Freude hier haben.

– Sollten Sie, unserm Hoffen entgegen, Sich nicht auf der Hinreise bei uns aufhalten können, so müssen Sie, lieber verehrter Herr Professor, mir aber sicher den Gefallen thun, mir zu schreiben, mit welchem Zuge Sie durch Lugano fahren; ich möchte dann zur Bahn kommen, um Sie zu begrüßen. Bitte, schreiben Sie es mir nur mit wenigen Worten, – wenn es auch etwa in der Nacht sein sollte; ich möchte Sie jedenfalls sehen.

Unsere Wohnung liegt übrigens gleich beim || Bahnhof, kaum 3 Minuten entfernt.

– Wir würden uns sehr freuen, in den nächsten Tagen eine erwünschte Nachricht von Ihnen zu erhalten. Nehmen Sie einstweilen viele herzliche Grüße von Herrn Professor Dodel und von

Ihrer

Sie dankbar verehrenden

Hannah Dorsch

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
27.02.1907
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 3418
ID
3418