Dorsch, Hannah

Hannah Dorsch an Ernst Haeckel, Lugano, Villa Monteverde, 14. Februar 1907

Lugano, d. 14. Febr. 1907

Villa Monteverde

Hochverehrter Herr Professor!

Gern benutze ich den Anlaß Ihres Geburtstages, um Ihnen wieder einen Gruß zu senden, und zunachst [!] Ihnen zu danken für Ihren Brief vom 15. Jan., mit dem Sie mir eine große Freude bereitet haben! – Sie haben Recht, ich halte mit meinem ganzen Sein am Monismus fest, weil ich mich aus nachtdunkeln Tiefen des Dogmenwesens und des engsten Kirchentums hinaufgerungen habe zu den lichten, freien Höhen meiner jetzigen Überzeugungen. Jahre voll heißer, blutiger Kämpfe waren es; sie begannen schon in meiner frühen Kindheit, thatsächlich schon in meinem 6. Lebensjahre, so unglaublich das vielleicht Ihnen klingen mag. Ich habe eben immer über Alles sehr scharf (nach dem Grade meiner jeweiligen Denkfähigkeit und Erkenntnis,) nachgedacht, u. ich empfand schon ganz früh den Widerspruch zwischen dem, was man mich auf Grund der Bibel lehrte und || dem gesunden, unverbildeten Denken u. Leben. Das warf schon früh eine grelle Dissonanz in mein junges Dasein, und unter dieser Dissonanz litt ich, wie unter einem lastenden Joch – bis ich sie in mir löste, – bis eine Einheit daraus wurde, ein Zusammenklang. Da wurde mir mein Leben wie eine volle, rauschende Harmonie, und ich bin ein unsagbar glücklicher Mensch!

Auf diesem Wege gehe ich freudig weiter, und will versuchen, mehr und mehr all die mannigfachen Probleme, die die Menschheit von heute bewegen, in dieser Einheit der Lösung entgegenzuführen, – immer zunächst für mich selbst, und dann, von dem gewonnenen sicheren Boden meiner Überzeugung aus, auch für Andere.

– – Zum Zweiten, hochverehrter Herr Professor, nehmen Sie meine herzlichsten Glückwünsche zu Ihrem Geburtstage entgegen! Wie Viele werden sich übermorgen wieder um Sie versammeln, sei es persönlich oder brieflich oder in Gedanken, um Sie zu begrüßen! Wie Vielen sind Sie Etwas geworden, das Erlösung und Befreiung in sich schließt. Alle diese werden Ihrer am 16. II. in Dankbarkeit und mit den innigsten Wünschen gedenken. Hoffentlich ist Ihr Gesundheitszustand || weiterhin ein derart befriedigender geblieben, daß Sie Sich recht frohen Herzens dieses Tages freuen können.

– Ich hoffe sehr, daß Sie uns im Sommer in Zürich besuchen werden; wir würden uns sehr freuen!

Seien Sie nochmals aufs herzlichste gegrüßt von Ihrer

Ihnen sehr ergebenen

Hannah Dorsch

 

Letter metadata

Gattung
Verfasser
Empfänger
Datierung
14.02.1907
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 3417
ID
3417