Sethe, Wilhelmine (geb. Bölling)

Wilhelmine Sethe an Ernst Haeckel, Frankfurt, 25. Januar 1866

Frankfurt d 25t. Jan. 1866

Mein lieber Ernst!

Herzlichen Dank für Deinen lieben Brief, den ich Dir schon eher beantwortet hätte, wenn ich nicht eher hätte Heinrich abwarten wollen, wo ich noch näher eine Angelegenheit besprechen wollte, die für uns Alle so viel Unangenehmes mit sich führt.

Laße mich darüber zuerst mich aus sprechen, da es mich so sehr beschäftigt.

Daß ich überhaupt noch von dieser traurigen Angelegenheit mit Dir mein armer Ernst reden muß, ist mir unbeschreiblich schmerzlich.

Ich war so glücklich daß wir Alles so ruhig beseitigt hatten, ohne daßa irgend etwas Unangenehmes vorgekommen.

Es war mein Haupt Augenmerk daß Du Alle Gegenstände behalten solltest, die Dir liebgeworden durch den gemeinsamen || Gebrauch mit unserer armen Anna. Ich selbst habe jede Unterredung mit Dir darüber gemieden, weil ich dachte es würde Dir leichter Deine Wünsche durch die Mutter auszusprechen.

Und so haben wir beide Mütter dies traurige Geschäft allein besorgt, gewiß in der Meinung daß Alles gut und recht wäre. Leider bin ich nun diejenige, die diese traurige Angelegenheit hat wieder anregen mußte [!]. Ich bin sehr lange mit mir zu Rathe gegangen, ehe ich mich datzu entschließen konnte, aber Du wirst es begreifen daß ich es nicht umgehen konnte wenn ich Dir sage wie es zusammenhängt.

Es ist keinem einzigen der Kinder eingefallen, irgend etwas gegen unsern Vertrag einzuwenden, nur sagen sie:

Die bestimmte Summe von 800 rl die erst nach meinem Tode soll abgerechnet werden, müße von Dir gleich verzinst oder ausgezahlt || werden, indem Dub im Nießbrauch des Ganzen bliebst, wofür mir nichts zu Gute käm.

Diese Frage ist es um einzig und allein, die beantwortet werden muß.

Dies hätte ich gleich bedenken müssen ehe wir den Vertrag unterschrieben, und so mit ist es meine Schuld, daß ich dies übersehn, und bekenne mich als schuldig und sah wol ein daß ich wieder gut machen müßte.

Wenn ich Dir dies schmerzliche Angelegenheit auch gern gespaart hätte, so konnte ich es jetzt nicht, da mir einmal der Vorwurf gemacht war, den ich bei näherer Überlegung als gerecht erkennen muß, da mußte ich diese Frage anregen, um mich wo möglich von meinem begangenen Unrecht zu reinigen. Dies lag mir grade jetzt um soc näher, da ich in diesen Tagen die ganze Verwaltung unseres Vermögens an Heinrich übergeben habe. ||

Da Mutter so wenig wie ich an diesen Passus gedacht haben, so meine ich hätten wir beide etwas verabsäumt und nur in diesem Falle, mache ich uns beiden den Vorwurf, nicht aber Deiner Mutter, wie sie es leider aufgefaßt hat, und deshalb, machte ich den Vorschlag wir wollten nur diese Frage und nichts anderes, unsern beiden Söhnen Karl und Heinrich zu entscheiden geben.

Jede Sache hat seine zwei Seiten warum sollen wir denn die schlimme annehmen?

Ich habe Mutter auf das innigste gebeten, die Sache für sich hinzustellen, und dadurch keine Störung in unserm so guten Vernehmen eintreten zu laßen die ja nur äußerlich ist, der Sache Feind und dem Menschen Freud.

Und bei Dir thue ich gewiß keine Fehlbitte, wenn ich hoffe es bleibt bei uns, wie es gewesen vor dieser Frage. –

Ich glaube mit Gewißheit, daß unsere liebe Anna sich gefreut wenn sie einen Blick auf uns haben kann, dass Alles so in Deinem Besitz geblieben, und Dud so weiter darin fortlebest, wie ihr Beide darin so glücklich wart. ||

Als ich das erstemal in Jena war, sprach Dein Vater es mit aller Bestimmtheit aus, Du sollest im vollen Besitz aller Sachen bleiben, und wäre bereit, jede erforderlich Summe dafür zu zahlen.

Daran hatte ich gar nicht wieder gedacht, nur ist mirs später wieder eingefallen, daß es gleich sein erstes Gefühl gewesen, und vielleicht das Richtige.

Deinen gütigen Vorschlag kann ich nicht annehmen lieber Ernst, und danke Dir sehr für Deinen guten Willen.

Ich war mit mir über die Sache längst im Reinen und habe jetzt mit Heinrich reiflich gesprochen und da ist mein Endurtheil. Dein Bruder Karl sagte mir, wenn ein Vertrag nicht unter ganz gleichen Ansichten aufgehoben wird, kann es nicht stattfinden, und dies bestätigt mir Heinrich.

Da wir nun so verschiedener Ansicht sind, so muß die Sache bleiben wie sie einmal ist, und verspreche Dir, daß von meiner Seite || die Sache nie wieder erwähnt werden wird, und das sichere Versprechen hat auch Heinrich für sich gegeben, und wir beide bestätigen dies auch für die übrigen Geschwister, da wir ihre Gesinnung kennen.

Ich habe dasselbe an Deine Mutter geschrieben, und wollte es eigentlich nicht mehr an Dich schreiben, nun ist es doch geschehen, es drängt mich datzu.

Und nun mein lieber Ernst die innigste Bitte, laß die Sache jetzt ruhen, und wollen annehmen, als wäre es gar nicht dagewesen. Ich habe die Genugthuung für mich und gegen meine Kinder, das Meinige gethan zu haben, und weiter bedarf es jetzt nicht, ich muß nur in meinem Gewissen frei sein, das gehört durch aus zu meiner erforderlichen Ruhe, und diese habe ich jetzt erreicht!

Und nun nachmals die innige Bitte lieber Ernst, lasse uns Alles beim Alten lassen, und es ist gut.

Ich kann Dirs nicht sagen wie es mich schmerzt, daß es so gekommen, aber unter diesen Umständen ging es leider nicht anders. ||

Ich habe mich so herzlich gefreut, von Carl zu hören daß du wohl seist, gefaßter und zugänglicher und zu meiner großen Freude bestätigt mir dies Dein Brief. Dies ist es ja, was wir auf die Länge der Zeit erreichen, den Schmerz über das Verlorene, werden wir nie ganz verlieren, möchten wir ja auch nicht einmal. Es ist uns ja ein lieber Trost, daß wir mit den Heimgegangenen in geistiger Verbindung bleiben und die Verheißung unsers Erlösers, daß wir auferstehn und uns wieder finden, giebt uns Kraft die uns Noth thut, die kurze Zeit, so zu leben, wie es uns von unserer Pflicht auferlegt ist. Der liebe Gott möge uns datzu helfen, auch die Wunde zu heilen, die er uns geschlagen.

Mein lieber Ernst Du kannst mir glauben meine Gedanken sind recht viel bei Dir, mit den innigsten Wünschen für Dein Wohl. Daß Deine Wissenschaft Dich so sehr interessiert und beschäftigt, sehe ich als einen großen Seegen an und freue mich daß Dein Lieblingswunsch || erfüllt wird, und Du so lange Zeit an den Gestaden das Mittel Meeres leben wirst, möchtest Du finden in jeder Beziehung was du suchest, das wünsche ich Dir von ganzer Seele.

Es war mir recht leid Dich Weihnachten nicht zu sehn, ich hatte so sicher geglaubt, Du würdest nach Landsberg kommen, und Dich mit über die freudige Kinderschaar freuen, aber Deine Zeit war ja so gemessen.

Die Zeit die Carl in Berlin war mußte ich leider im Bette zubringen, benutzte den ersten guten Tag zur Rückreise, und war froh daß ich meine Besserung hier abwarten konnte und nicht der armen Mimi noch lästig werden. Ich habe dann noch bis vor acht Tage Hausarest gehabt, doch fühle ich mich besser, und bekommt mir die Luft gut. Der Winter ist wol nicht mein Freund. Seit Dienstag ist Lucie mit ihrer jüngeren Schwerster Jenny hier, was mir große Freunde macht. Das neue Töchterchen ist sehr lieb, und freue mich dessen, besonders für Carl der sich ja so glücklich fühlt in ihrem Besitz.

Die Hochzeit wird noch im Mai sein, möge der liebe Gott seinen Seegen datzu geben. Und nun leb wohl mein lieber Ernst und ermanne Dich so viel Du kannst und glaube, ich denke Deiner in Liebe und Theilnahme. Behalte mich lieb.

Deine treue Mutter.

e Sage auch Deinen lieben Freunden einen freundlichen Gruß. Auch Bertha grüße von mir, sie soll Dir treu und gut bleiben, ich hätte ihrer nicht vergeßen.

a eingef.: daß; b eingef.: Du; c eingef.: so; d eingef.: Du; e weiter am Rand v. S. 8

 

Letter metadata

Gattung
Empfänger
Datierung
25.01.1866
Entstehungsort
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 33876
ID
33876