Sethe, Wilhelmine (geb. Bölling)

Wilhelmine Sethe an Ernst Haeckel, Wiesbaden, 14. Juni 1865

Wiesbaden d 14t. Juni 1865

Lieber Ernst!

Ich muss Dir doch gleich sagen daß ich gestern in Apolda vergebens auf Dich gewartet, und daß ich auch keinen Brief von Dir erhalten.

Ich vermuthe daß Dich mein Brief von Berlin aus, gar nicht getroffen, daß Du wahrscheinlich eine kleine Pfingstreise gemacht, wovon Du noch nicht heimgekehrt.

Sage mir doch mit ein paar Worte, wie sich die Sache verhält, ich hoffe nur nicht ein verfehlen, das wäre mir zu verdrießlich.

Ich hatte mich sehr zu dieser kleinen Zusammenkunft in schöner Natur gefreut, mein lieber Ernst, wo das Herz sich immer leichter und inniger ausspricht, und ich meine dies wäre uns beiden eine Wolthat. ||

Als ich an Apolda und später an Eisenach kam war es so regnigt und kalt windig, daß ich mich eher tröstete, da unter diesen Umständen, wol an keine Tour in den Thälern zu denken war. Es ist wieder ein merkwürdiger Sommer, so schnelle Wechsel von Kälte und Hitze, was doch keinen falls gesund sein kann.

Ich bin ganz glücklich hier angekommen, und will hoffen die Cur wrid mir so gut thun daß sie lange vorhält, da es mir wirklich sehr schwer geworden ist, mich von meinem lieben Heringsdorf zu trennen, wo es jetzt zu reizend war, hätte ich nicht einen zu schlechten Winter gehabt, ich wäre nicht hergegangen aber die Furcht für schlimme Gicht ist sehr groß.

In Berlin fand ich so weit Alles wohl, Helene geht Ende Juni mit Allen Kindern nach Heringsdorf. In Ziegenort war Alles gut, auch den Kleinsten der doppelte Glieder || hat und sehr schwach auf den Beinchen ist, sonst aber ein ganz reizendes Kind.

Tante Bertha soll gar nicht reisen weil sie so ist, daß Quinke sie unter Augen halten will, obgleich sie sonst Alles mitmacht. War einen Tag in Potsdamm wo sie Tante Adelheid gar nicht gut gefunden, und eben so wenig die arme Bertha hier.

Donnerstag reisen die Sobernheimer wieder ab, was wol großer Kummer sein wird.

Es ist doch recht trübseelig in Potsdamm, Gott gebe, dass es sich bald beßere.

Tante Gertrud geht nach Töplitz. Deine Eltern habe ich verfehlt indem sie noch in Landsberg sind. Hermine schrieb mir kürzlich ganz glückseelig über ihre Wohnung, und ich freue mich wirklich ganz außerordentlich, daß sie endlich so weit sind, eine passende Wohnung zu haben.

Die Weiß war für 4 Wochen verreißt. Bei Brauns traf ich sie sehr betrübt. Anna hatte || endlich ausgelitten, nachdem sie aber unbeschreiblich viel schwere Zeit gehabt, und der letzte Kampf so sehr schwer. Mathilde war nach Göttingen und die Schwester nach Leipzig um sich etwas zu erholen. Vielleicht gehn Alle nach der Schweiz, wenn Mathilde nicht mit, kommt sie zu mir nach Heringsdorf.

Mir fiel so recht lebhaft, das schöne Ende unserer lieben Anna ein. Was ist ihr Alles erspart man kann sich kaum ein schöneres Ende denken für eine Sterbende, wenn auch für uns so unendlich schwer. Denkst Du daß ich immer noch keine bestimmte Vorstellung habe, daß sie wirklich nicht mehr ist? ich meine immer sie müsse noch irgend wo herkommen. Ach es war zu plötzlich. – Mein armer Ernst Du bist am meisten zu beklagen und theile Deinen Schmerz aus tiefem Herzen, aber glaube nur Du bist es nicht allein, ich bitte den lieben Gott recht innig, um seine wahre Tröstung, daß wir uns finden, in seinem Willen, wie wir sollen.

Aber nun leb wohl lieber Ernst, Grüße die Freunde

Deine treue Mutter.

a Am Engel bei Hr Neuendorf, ist meine Andresse.

b Ich habe mich sehr gefreut, daß Du Dich endlich bestimmt hast und freue mich daß Du noch in Jena bleibst. Du wirst ja recht erwogen haben, und ich freue mich daß Du bei der Ordnung bleibst gleich wie, Du findest doch am ersten Ruhe, wenn es auch nicht so scheint.

a weiter am Rand v. S. 4; b weiter am Rand v. S. 1

 

Letter metadata

Gattung
Empfänger
Datierung
14.06.1865
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 33875
ID
33875