Wilhelmine Sethe an Ernst Haeckel, Heringsdorf, 3. Oktober 1864
Heringsdorf d 3t Okt.
1864.
Mein lieber Ernst!
Nach so langer Zeit, mal wieder ein Lebenszeichen von Dir zu erhalten, war mir rechte Freude. Ich denke so viel an Dich und habe immer nur einen Wunsch für Dich, Du möchtest etwas beruhigter sein, über Deinen unersetzlichen Verlust, möchtest Dich finden lernen in das Unvermeidliche was der liebe Gott über Dich über uns verhängt. Wenn wir es auch noch nicht einsehen, nicht begreifen können, daß es zu unserm Besten dient, so kommt doch noch eine Zeit, wo wir sagen, was Gott thut das ist wohlgethan.
Der liebe Gott hat bei Allem was er thut, seine weisen Absichten, er allein leitet unser Schicksal, weiß was uns formet, wenn wir es auch nicht begreifen. Wir sollen nur das feste Vertrauen zu ihm haben und vertrauensvoll unser Schicksal in || seine Hände legen. Wir haben ja schöne Verheißungen für die Ewigkeit, die kurze Spanne hier ist bald vorbei, droben ein seeliges wiederfinden ohne Trennung, und mit den vorangegangnen eine geistige Gemeinschaft. Davon bin ich so fest überzeugt und hilft mir das schwere der Trennung tragen, und giebt mir Kraft zu handeln, wie es den Wünschen der Verstorbenen angemessen ist und diese Überzeugung, lieber Ernst, hält mich aufrecht, denn das kannst Du glauben, ich habe schwere recht schwere Stunden und Zeiten wo ich so tief und schmerzlich betrübt bin, wie Du es nur sein kannst. Ach lieber Ernst, ich habe ein glückliches Leben gelebt, so innig und ungetrübt geliebt und wieder geliebt, da ist das Leben so innig mit einander verbunden, daß eine Trennung unendlich schwer wird, und viele schwere Pflichten liegen mir ob, allein zu erfüllen, die gemeinsam so leicht und freudig wären.
Ich bitte täglich dem lieben Gott er möge mir die Kraft und Hülfe nicht versagen, die mir so Noth thun, so zu handeln wie es meine Pflicht erheischt. Und Gott sei es gedankt, ich habe bisher, nur zu loben und zu danken, wenn er || mir auch Schweres zu tragen geben. Du glaubst nicht wie schwer es mir diesen Sommer geworden, bei dem Gedanken, daß unsere liebe Anna nun nie mehr herkommt, wo sie doch so gern war und jedes Jahr hier gewesen. Es ist ordentlich als wäre noch nicht Alles wie es sollte da sie noch fehlt. Und so geht es allen Bekannten, sogar den Badefrauen. Es ist in diesem Jahr sehr kalt und stürmisch, wie noch nie so frühzeitig. Vorgestern war es so arg, daß die See unter furchtbaren Brausen bis an die Dünen stand, und arge Verheerungen anrichtete. Auf den Culen sind 3 schöne Buchen umgerissen, und überall viel Zweige und Bäume abgeschlagen. Die Leute sagen hier, es sei beinah eben so schlimm als d 23t. Dez. ‒ Es ist hier bald Alles fort, nach dieser Woche bin ich beinah ganz allein. Habe aber viel zu thun, da wird mirs nicht einsam. Am 19 oder 20t. reise ich ab, will in Teltow mit Carl zusammen treffen, und mit ihm nach Heinrichsdorf zu fahren, und Luciens Geburtstag mit zu feiern, was beide so sehr wünschen. || Ich hatte die große Freude, Lucie acht Tage bei mir zu haben. Leider ohne Karl und ohne Mutter, was ich sehr beklagte, und war es mir, als konnte ich nur die halbe Freude haben. Beim Abschied meinte Lucie, es war doch sehr nett, daß wir allein waren, wären die anderen dabei gewesen, hätten wir uns doch nicht so nett zusammen einleben können. Und so ist es auch, und ist mir hinterher oft in Gedanken gekommen, wie recht sie hat, wer weiß, wann wir mal so allein und still wieder zusammen kommen. Ich bin ganz glücklich über die kleine liebe Lucie, sie ist so einfach, natürlich, ein tiefes liebes Gemüth, so voll der innigsten Liebe für Karl, daß ich nicht sagen kann wie glücklich ich bin für Karl und begreife es sehr daß er sich so glücklich fühlt. Wolle der liebe Gott seinen Seegen geben, dann wird es gewiß ein glückliches Paar.
Wie ich mit dem armen Hr Gegenbauer getrauert um seinen großen Verlust, und mit Euch Alle, die ihr die schwere Zeit mit ihm getragen, das kann ich Dir gar nicht sagen. Ihr beide arme Männer werdet um so mehr an einander gefesselt sein. Tragt es muthig Euer herbes Loos wie starke Männer und versichere auch ihm meine innigste Theilnahme.
Daß der Typhus dort so herrscht, ist recht schlimm und könnte mich fürchten machen für Dich, der Du so aus frischer Luft herein kommst. Kehre ja nicht eher zurück als Du eben brauchst. Auch Fr. Sebeck sage meine Theilnahme. Und nun adee lieber Ernst, Gott sei mit Dir und uns Allen.
Deine treue Mutter.
a Wenn Du nach Jena kommst, sage Bertha sie soll die Sachen nur gleich abschicken wie wir verabredet.
b Wie schön wenn ich Dich noch in Berlin träf! reise ja nicht zu früh nach Jena. Daß ich Brauns hier getroffen hat mich sehr gefreut. Grüße die guten Menschen recht sehr, und auch die Weis.
c Ich bin nicht mehr zum schreiben an Julchen gekommen, grüße sie sehr, und danke für ihren Brief, ich würde ihn bald mündlich beantworten!
d Über die große Veränderung mit Deinem Vater bin ich recht betrübt. Ich habe groß Verlangen, ihn zu sehen, und habe beschloßen, über Berlin zu reisen wenn ich von Heinrichsdorf komme. Grüße die Eltern bestens.
a weiter am Rand v. S. 4; b weiter am Rand v. S.3; c weiter am Rand v. S.2; d weiter am Rand v. S. 1