Sethe, Bertha

Bertha Sethe an Ernst Haeckel, Berlin, 13. Februar 1852

Berlin 13/2 52.

Wie ich mich bei Deinem letzten Unwohlsein mit meinen Gedanken, meinem Herzen, mit Wünschen, Hoffnungen für Dich und Erwartungen von Dir beschäftigt habe, so möchte ich doch gern zu Deinem Geburtstage Dir einen festlichen Gruß und rein materielle Gedanken senden.

Mit Gedanken und reinen Herzen habe ich mich an Dein einsames, verlassenes Lager, und mit dem Herzen in Deine Stimmung versetzt, mit den Wünschen und Hoffnungen, daß es einerseits bald vorübergehen, daß anderseits Du es Dir zu einem recht reichlichen neuen Segen und einer Förderung in der Entsagung und Bekämpfung des alten Menschen möchtest geruhen lassen, denn ina den Erwartungen, daß Du es Dir aber zu einer reichen Quelle würdest werden lassen, aus der Du Kraft gegen die Selbstsucht, den individuellen Egoismus, und die Nichtbeachtung andrer Wesen und andrer Eigenthümlichkeiten || immer von Neuem schöpfen könntest.

Ja Ernst etwas andres will Gott mit dieser Zeit Leiden nicht, als daß das Herz fest werde: Wenn der Christ leidet, so muß er immer, wenn auch der willkürliche Mensch mit Allem in uns, dagegenkämpft, der Christ muß dieses Leiden doch, so schwer und bitter es manchmal sein kann, als die Läuterung als den ihm nothwendigen Weg, ansehn, um immer mehr und mehr das Bild des Herrn in Geist und Wahrheit zu erklären, wie es von Gott durch Christi Lehre u. Tod in uns aufgerichtet ist, so daß wir der rechte Tempel des heiligen Geistes, die rechte Behausung Gottes sind.

Ja wir sind es auch, wir werden es uns immer inniger und wahrer bewußt, je mehr in Leid und Kummer Gott uns heimsucht.

Das ist nun auch mein Herzenswunsch für Dich an Deinem Geburtstage, daß, was Dir auch Gott in || Seiner Weisheit vorbehalten und verordnet hat, Alles Schweres, bittres Leid Weh in uns oder an uns, köstliche Erfüllung Deiner innersten liebsten Wünsche, Gewöhnung von Neigung und Trieb in Dir, Befriedigung zum höchstem Streben nach Beruf und Wirksamkeit, Alles auch Entbehren, Versagung dessen, Alles Alles ist nur ein Mittel in Gottes Hand, um Dich selbst zu verleugnen, damit Du dann immer inniger und tiefer Dich versenken kannst in das Leben in Ihm, das uns erklärt zu dem vollkommnen Ebenbilde nach Ihm geschaffen.

Daß Du die fatalen Examenarbeiten nun schon so weit hinter Dir hast, hat mich recht gefreut, nun noch etwas Geduld, dann bist Du ja über dem Berg. Wenn ich Dir auch nicht Verlängerung Deines jetzigen Aufenthaltes wünsche, so || halte Dir nur eines vor Augen, daß es Dir so heilsam und gut wie Du es gewiß selbst noch einsehn wirst. Dann wird Dir die noch übrige Zeit vergehen, besser als Du denkst. Wie es uns geht u.s.w. werden sie Dir aus No 8 schreiben, und Dir von Begebenheiten u.s.w. zu schreiben mußt Du nicht von mir verlangen, die ich außerhalb des Lebens und Treibens der Welt stehe Amen

Ich lese jetzt: Psychologische Briefe von Erdmann, die mich sehr interessieren. Neulich habe ich auch etwas in Deinen Oersted hineingekuckt, und große Lust bekommen, es ordentlich vorzunehmen.

Nun zum Schluß noch einen herzlichen Gruß u. Wunsch zu Deinem Geburtstage, halte mich fest in der Liebe, wenn ich Dich auch manchmal etwas derb anfasse, ich thäte es nicht, wenn ich Dich weniger lieb hätte.

Von Herzen Deine

alte Tante Bertha. ||

Wenn Du den Thaler auch nicht aufißst, so mache damit, was Du willst. Materiell genug ist doch das Geschenk? –b

a eingef.: in; b Text weiter am Rand von S. 1: Wenn Du … das Geschenk? –

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
13.02.1852
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 33664
ID
33664