Transkript: gmueller
Ernst Haeckel an Carl Gegenbaur, Lissabon, 12. November 1866
Lissabon, 12. Nov. 66.
An Prof. Gegenbaur.
Liebster Freund!
In der nächstfolgenden Woche wirst Du von meinen Eltern einen ausführlichen, heute von hier abgeschickten Brief erhalten, welcher die Schilderung meiner Reise von London nach Lissabon und meines hiesigen Aufenthalts enthält, und welchen ich Dich bitte den bereits genannten Jenenser Freunden mitzutheilen. Heute wollte ich dem Briefe an Herrn Staatsrat Seebeck nur einen herzlichsten Gruß für Dich beifügen. Ich habe in Begleitung des Dr. Greeff aus Bonn, London am 2. Nov. verlassen und bin nach einer sehr stürmischen Seefahrt (bei welcher unser kleines schmales Schiff wie eine Nußschale umhergeworfen wurde, und ich zum ersten Male seekrank wurde) am 7 Nov. Abends glücklich angelangt. Die gefürchteten 5 Quarantaine- Tage haben sich in 5 Tage des herrlichsten Naturgenusses verwandelt. Das Quarantaine-Gebäude ist ganz neu, sehr reinlich, mit schönen Zimmern und liegt auf einem hohen Felsen am südlichen Ufer der Tajo-Mündung, von welchem wir bei dem herrlichsten Frühlingswetter die köstlichste Aussicht auf das glänzende Tajo-Becken und auf die Stadt Lissabon genießen, welche sich am nördlichen Ufer gegenüber in der prachtvollsten Lage an einer Reihe violetter Hügelketten hinstreckt, überragt von den edel geformten Cintrabergen. Die Landschaft ist hier einzig schön, ganz verschieden von allen mediterranen Küstenlandschaften.│
Im Tajo habe ich ein prachtvolles großes Rhizostoma entdeckt, Welt (obgleich hier sehr häufig) ganz unbekannt zu sein scheint und sich wesentlich von allen anderen bekannten Arten unterscheidet. Es ist dem fossilen Rhizostomites admirandus merkwürdig ähnlich. 2-3, Scheibe 1-2 Fuß Durchmesser, ganz von dendritischen Furchen an der oberen Schirmfläche durchzogen. Randkörper pigmentlos! – Heute habe ich hier unvermutethet zu meiner großen Freude Fol und Miklucho wieder zu finden, welche schon seit 8 Tagen in Portugal herum streichen und sehr munter sind. Wir fahren am 15. Novemb. von hier nach Madeira, und gehen wahrscheinlich Ende December von dort nach Teneriffa. Von letzterem erwarte ich in zoologischer Beziehung mehr. Die Pracht der südlichen Natur und des frühlingsgleichen warmem November-Wetters giebt uns schon hier eine Ahnung von dem bevorstehenden Naturgenusse der nächsten Wochen. Hoffentlich hast Du meine beiden Briefe aus London richtig erhalten. Ich verlange sehr nach Nachricht von Dir, welche ich in London vergebens erhofft habe. Bitte adressire Deinen nächsten Brief:
Nicolaus Krohn. Funchal. Madeira (via Lissabon).
Hoffentlich höre ich von Dir und Deinem Töchterchen Gutes. In London habe ich auch sehr angenehme Stunden mit Lyell, Huxley und Lewes verlebt.
Es grüßt Dich von Herzen Dein treuer Ernst.
H: EHH, egh., 1 Bl., 14,3 x 21,7 cm, 2 S.