Ernst Haeckel an Wilhelm Olbers Focke, Jena, 10. Mai 1907

ZOOLOGISCHES INSTITUT

DER UNIVERSITÄT JENA.

Jena 10.5.07.

Lieber alter Freund!

Deinen freundlichen Gruß aus Santa Margherita erwidere ich erst heute, weil ich seit meiner Rückkehr aus Italien über die Maaßen durch meinen Museums-Bau und andere dringende Arbeiten in Anspruch genommen war. Inzwischen wirst Du wohl in diesen Tagen nach Bremen zurückgekehrt sein – hoffentlich mit Deiner lieben Familie recht befriedigt von der schönen Riviera, – trotz des kühlen und kärglichen Frühlings, der sich dies Jahr überall in Europa um 5-6 Wochen verspätet hat. Auch hier in Jena fand ich unser Saalthal noch ganz winterlich, wie sonst Anfang März. ||

Auch ich habe sehr bedauert, daß unsere überraschende Begegnung in den engen Berggassen von Gandria nicht zu einem längeren freundschaftlichen Zusammensein führte. Ich war aber so erkältet ( – wie Du an meiner heiseren Stimme gemerkt haben wirst – ), daß ich selbst das Gespräch auf dem Rückwege nach Lugano nicht wagen wollte. Am Abend (des 21.4.) hatte ich große Lust, Dich noch im Paradies-Hôtel bei Reichmann auf eine Stunde zu besuchen. Da ich aber oben in Castagnola hoch auf dem Berge (nahe der Kirche, oberhalb der Pension Müller) wohnte, war die weite Entfernung doch zu groß, zumal ich am anderen Morgen mit dem ersten Zuge über den Gotthardt die Rückreise antreten wollte. ||

Natürlich würde es mich sehr freuen, wenn wir noch in diesem Sommer die schönen freundschaftlichen und botanischen Erinnerungen an den prächtigena Sommer in Wien auffrischen könnten, den wir vor 50 Jahren als junge Dr. med. zusammen verlebten. Vielleicht läßt es sich einrichten, daß wir in den letzten Tagen Mai (28-31?) in Kopenhagen mit Freund Krabbe einige gemütliche Tage verleben könnten? Ich reise Samstag 18.5. von hier nach Berlin und Stettin, wo ich einige Besuche machen muß, am 22. über Sassnitz-Trelleborg nach Stockholm, 23. u. 24. in Upsala zur Linné-Feier, 25-27 (?) in Stockholm. Sonntag 2. Juni muß ich wieder in Jena sein. ||

Vielleicht muß ich aber diesen Reiseplan abkürzen, da meine arme Frau durch eine schwere Influenza fast 3 Monaten an das Zimmer gefesselt ist. Falls sich der Abstecher nach Kopenhagen (von Malmö) auf der Rückreise ermöglichen läßt, werde ich Dir von Stockholm aus (etwa am 25.5.) Nachricht geben.

Andernfalls findet sich vielleicht andere Gelegenheit, uns doch noch einmal in diesem Sommer wiederzusehen.

Mit herzlichsten Grüßen an Dich und Deine liebe Familie

Dein treuer alter

Ernst Haeckel.

a gestr.: schönen, eingef.: prächtigen

Brief Metadaten

ID
33346
Gattung
Brief ohne Umschlag
Institution von
Zoologisches Institut der Universität Jena
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
10.05.1907
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
13,4 x 21,2 cm
Besitzende Institution
SUUB Bremen, Abt. Handschriften und Rara
Signatur
Aut. X, 56 (20)
Zitiervorlage
Haeckel, Ernst an Focke, Wilhelm Olbers; Jena; 10.05.1907; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_33346