Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Oskar und Richard Hertwig, Jena, 20. Februar 1872

Jena 20. Febr 72

Meine lieben Freunde!

Für die freundliche Übersendung des Pracht-Exemplars Ihrer Ascidien-Arbeiten sage ich Ihnen meinen herzlichsten Dank. Ich würde es sogleich nach Empfang derselben gethan haben wenn ich nicht dergestalt mit allen möglichen Störungen geplagt wäre, daß ich in den letzten Monaten selbst mit meinem Spongien-Buche nur langsam vorwärts gerückt bin. Abgesehen von vielen Decanats- und Senats-Geschäften, von der III Aufl. der Schöpfungsgeschichte etc hatte ich gerade in den letzten 6 Wochen ausnehmend Viel zu thun. || Außerdem hatte ich leider fast den ganzen Januar hindurch zu Hause ein großes Lazareth, in dem zuerst ich selbst 3 Tage, dann aber meine Frau und beide Kinder 3 Wochen, und schließlich auch beide Dienstmädchen an der epidemischen Grippe zu leiden hatten, die hier bei der fabelhaft warmen Januars-Witterung ganz allgemein war und auch die Auditorien um die Hälfte leerte.

In diese Jammerzeit fiel nun meine Berufung nach Strassburg, welche mich im Ganzen ziemlich kühl gelassen hat, obgleich sie mir ganz unerwartet kam. || Es sprachen aber zu viele und gewichtige Gründe dagegen, als daß ich mich a lange hätte besinnen müssen. Hätte Herr v. Roggenbach es schlauer angefangen und Gegenbaur und mich gleichzeitig berufen, so wären [wir] vielleicht hingegangen.

Dem üblichen Fackelzug sind wir beide nicht entgangen. Komischer Weise wurde aber der Fackelzug für meinen Freund von den Farben-Studenten, der meinige von der „freien Vereinigung“ ausgeführt. Letztere blüht jetzt recht und hat über 100 Mitglieder. Ich habe neulich darin einen Vortrag über „Vereinigungen im Thierreiche“ gehalten. ||

Daß Sie die höchst interessanten Monorrhinen und namentlich Petromyzon speciell untersuchen, freut mich sehr. Um sie lebendig zu halten, werden sie gut thun, über dem Aquarium einen Tropfapparat (ganz einfach mit Heber) anzubringen, wobei mit den Tropfen immer frische Luft in das Aquarium fällt. [eingef.: Zeichnung Tropfapparat]

Bitte grüßen Sie Prof. Schultze bestens und danken ihm für seine Mittheilung. Ich werde ihm nächstens selbst antworten, sobald ich mit meinen Nadel-Untersuchungen fertig bin.

Es grüßt Sie von Herzen in alter Freundschaft

Ihr

Ernst Haeckel

a gestr.: Goss

 

Letter metadata

Verfasser
Datierung
20.02.1872
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 33296
ID
33296