Ernst Haeckel an Richard Hertwig, Jena, 7. Dezember 1876

Jena 7 Dec 76

Lieber Richard!

Für Ihre beiden Briefe, die mich natürlich sehr interessirten, danke ich Ihnen bestens. Es freut mich, daß Sie mit Messina zufrieden sind, und daß Sie meine geliebten Radiolarien weiter studiren. Es giebt da noch Viel, sehr Viel zu thun! Denken Sie aber auch an die pelagischen Infusorien, von denen es in Messina auch sehr schöne (und viel unbekannte) Formen giebt. Hoffentlich können Sie auch sonst noch die Ontogenie und Anatomie der Protisten vielfach fördern. ||

Ich habe mich seit mehr als 2 Monaten bloß mit Haliphysema beschäftigt, von denen ich bei genauerer Durchsicht der Sammlung noch ein paar hübsche und gut conservirte neue Formen gefunden habe. Meine Ferien-Reise im September war sehr interessant und lehrreich. In London besuchte ich Darwin. a Die Naturforscher Versammlung in Glasgow war merkwürdig. Z. B. wurde in der „Anthropologischen Section“ unter Wallaces Vorsitz 3 Tage über Spiritismus debattirt. Ganz wundervoll sind die Challenger-Sammlungen, in Bezug auf niedere Seethiere (besonders Echinodermen), alle || Erwartungen übertreffend.

Sir Wyville Thomson bot mir die Radiolarien zur Bearbeitung an und ich habe nach einigen Bedenken angenommen. Es sind bloß Skelete, aber diese in ungeheurer Masse, den Tiefsee-Schlamm in 20–25 b Tausend Fuß bildend, wahrscheinlich 5 oder 6 mal mehr Arten, als bis jetzt beschrieben wurden. Es werden mindestens 50 Tafeln.

– Eine Tour ins schottische Hochland und auf die Inseln (Staffa, Jona, Arran) war sehr interessant. Den Rückweg nahm ich über Dublin, und Belfast; auch recht interessant. Überall fand ich höchst liebenswürdige und gastfreie Aufnahme. ||

Meine Vorlesungen sind stärker besucht als je (in der Zoologie 56, im Curs 15). Leider ist zu Hause wieder Lazareth. Alle 3 Kinder haben die Masern und meine Frau die Grippe. – Straßburger ist in Nizza (Quai du Midi, 19. III). Er wird wahrscheinlich erst im April zurückkommen und beschäftigt sich fast ausschließlich mit Siphoneen (Caulerpa, Bryopsis, Acetabularia). Von hier kann ich Ihnen sonst Nichts melden. Ich sehe keinen Menschen und lebe ganz still. Ihr Aufsatz über Spirochonac wird demnächst gedruckt, im II. Heft des XI. Bandes. Das I. Heft ist leider sehr verzögert worden. Mit herzlichsten Grüßen Ihr treuer

E. Haeckel

An Oscar u. Klostermann freundliche Grüße, auch an Sarauw, Jaeger und wer sich meiner noch erinnert.d

a gestr.: Von; b gestr.: M; c irrtüml.: Spirochonia; d weiter am Rand v. S. 4: An Oscar u. Klostermann… meiner noch erinnert.

Brief Metadaten

ID
33285
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
07.12.1876
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
13,9 x 21,7 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 33285
Zitiervorlage
Haeckel, Ernst an Hertwig, Richard; Jena; 07.12.1876; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_33285