VILLA HAECKEL. JENA, DEN 28 / October 1888
Lieber Freund!
Erst kürzlich von einer mehrwöchigen Reise nach Berlin u. Potsdam zurückgekehrt, finde ich die hocherfreuliche Anzeige von der Geburt Ihres Erbprinzen vor. Ich und meine Frau haben uns darüber sehr gefreut, und wir verbinden mit unserem herzlichen Glückwunsche die Hoffnung, daß der kleine Stammhalter kräftig gedeihen und durch Vereinigung der Tugenden seiner beiden trefflichen Eltern sich zu einem Pracht-Exemplar von Homo sapiens entwickeln möge! ||
Sehr leid thut es unsa, daß wir auf der Rückreise von Tyrol, Mitte September, Sie nicht mehr in München aufsuchen konnten. Allein eine Contusion der Patella, auf die eine acute Entzündung der Bursa patellaris folgte, nöthigte mich zu schleuniger Heimreise und unbeweglicher Sopha-Ruhe von 14 Tagen.
– Mitte October ging ich dann noch auf einige Wochen b nach Potsdam, wo ich meine gute (im 90.sten Jahre stehende) Mutter recht leidend antraf. In Berlin brachte ich die freie Zeit mit Ölmalen (im Atelier von Prof. Eschke) zu, und besuchte nur meine nächsten Verwandten. Zu Oscar konnte ich leider nicht kommen. ||
Ihrer lieben Frau, die sich hoffentlich recht wohl befindet, bitte ich unsere freundlichsten Grüße auszurichten, ebenso Ihrer Frau Schwiegermutter u. Frl. Schwägerin. Auch die alten Münchener Freunde (Bäyer, Zittel, Sohnke etc.) bitte ich gelegentlich zu grüßen!
Mit besten Wünschen in alter Freundschaft
Ihr treuer
Ernst Haeckel
a korr. aus: mir; b gestr. z