Ernst Haeckel an Richard Hertwig, Jena, 16. November 1891
Jena 16 November 1891.
Lieber Richard!
Für die freundliche Zusendung und Dedication Ihrer Zoologie danke ich Ihnen herzlichst; und nicht minder für die ganz unerwartete und mich sehr überraschende Mittheilung, daß die Münchener Akademie mir die Ehre erwiesen hat, mich zu ihrem auswärtigen Mitgliede zu ernennen. Ihre eigenen freundschaftlichen Bemühungen dafür sind um so dankenswerther, als es gewiß an ernstlichem Widerspruch dabei nicht gefehlt hat. || Ihren Wunsch, seinerzeit Ihnen kritische Bemerkungen über Ihr Lehrbuch mitzutheilen, werde ich natürlich gern erfüllen. Ich glaube aber, daß dazu wenig Veranlassung sein wird, da ja unsere allgemeinen Anschauungen in erfreulicher Weise übereinstimmen. Plan und Durchführung des Ganzen gefallen mir sehr, und ich bin überzeugt, daß das Buch allgemeina gefallen und bald eine zweite Auflage erleben wird. Die anderen Lehrbücher modernsten Styls (Lang, Hatschek, Boas, Claus etc) bringen immer Viel zu Viel Specialia. || In welcher Weise meine systematischen Anschauungen von den Ihrigen abweichen, ersehen Sie am besten aus der Vergleichung Ihres Lehrbuchs mit der letzten (VIII.) Auflage meiner „Natürlichen Schöpfungsgeschichte“. Da aber ich selbst bei jeder neuen Auflage mich gezwungen sehe, das System zu verbessern, und Änderungen vorzunehmen, weiß ich auch sehr gut, wie wenig daran liegt; es ist das eine Arbeit, mit der man niemals fertig wird. Auch bei der Neugestaltung der Anthropogenie im letzten Jahre ist mir das wieder vom Neuen klar geworden. ||
Mit Bedauern höre ich von Ihnen, daß Ihre Kinder am Keuchhusten leiden. Es ist das für die ganze Familie eine rechte Plage, die wir seinerzeit auch gründlich durchgemacht haben. Meine Frau und ich wünschen von Herzen baldige Besserung!
Mit herzlichsten Grüßen von Haus zu Haus
Ihr treuer
Ernst Haeckel
a gestr.: sehr; eingef.: allgemein