Ernst Haeckel an Richard Hertwig, Jena, 10. November 1894
Jena 10. November 1894.
Lieber Richard!
Über die guten Nachrichten von dera fortschreitenden Besserung Ihrer lieben Frau haben wir uns aufrichtig gefreut. Ihr Vater u. Oscar, die ich im October in Berlin sprach, hatten auch die beste Hoffnung auf baldige völlige Wiederherstellung.
– Für die III. Auflage Ihres trefflichen Lehrbuchs (– das ich stets meinen Studenten als bestes empfehle –) danke ich Ihnen herzlich, u. hoffe, daß noch viele andere folgen werden. Oscar’s Lehrbücher erfreuen sich ja auch eines glänzenden Erfolges. ||
Beifolgend sende ich Ihnen den I. Theil meiner „Systematischen Phylogenie“ u. bitte Sie, die anderen Exemplare an die Adressaten abgeben zu lassen. Für jede Berichtigung der (wahrscheinlich zahlreichen!) Irrthümer, sowie Mittheilung Ihrer subjectiven Bedenken, werde ich Ihnen dankbar sein. Ich verspreche mir übrigens von diesem Versuche zunächst sehr wenig Wirkung, besonders da der trockene Text nicht illustrirt ist u. auf die Litteratur keine Rücksicht nimmt. ||
Uns geht es gut. Seit Kurzem bin ich Großvater. Lisbeth ist durch die glückliche Geburt eines prächtigen Mädchens hoch erfreut. – Walter wird demnächst b ganz nach München übersiedeln. Er hat sich ein Atelier in Schwabing gemiethet. In der Landschaftsmalerei macht er jetzt hübsche Fortschritte, leider sehr in modernem „Secessions“-Geschmack. Er ist ein schnurriger Kauz geworden, verabscheut Alles „Professorische und Akademische“, u. vermeidet jede Gesellschaft, ausgenommen jüngerer Collegen. Im Sommer war er in Seefeld (Pilsensee) ||
Mit besten Wünschen und freundlichsten Grüßen, auch von meiner Frau.
Ihr alter
Ernst Haeckel
P. S. Jena 30.11.94.
Durch eine Trödelei meines Verlegers habe ich meine Frei-Exemplare erst heute – 3 Wochen zu spät, erhalten. Entschuldigen Sie die unliebsame Verzögerung! –
Für Ihre Münchener Akademie, Zittel u. Goebel, lege ich 3 Exemplare mit Bitte um Abgabe bei.
Ihr Ernst Haeckel
a gestr.: über; eingef.: von; korr. aus: die; b gestr.: bald