Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Richard Hertwig, Jena, 19. September 1917

Jena 19.9.1917.

Lieber Freund!

Mit aufrichtiger Teilnahme erfuhr ich durch Ihren Brief vom 24.8., daß Ihr lieber Sohn noch immer in französischer Gefangenschaft schmachtet; ich wünsche von Herzen baldige Befreiung!

Auch hier fordert der entsetzliche Weltkrieg furchtbare Opfer; über 300 Studenten sind gefallen, auch viele Söhne von befreundeten Collegen!

Ich sehe jetzt sehr schwarz in die Zukunft! Daß der elende Reichstag sich von 2 so dummen und eitlen Narren, wie dem ultramontanen Erzberger und dem Sozial-Utopist Scheidemann, zu der dummen Friedens-Resolution vom 19.7. verführen läßt, ist höchst bedauerlich. Wie soll der Friede aussehen? Und nachher das große Trümmerfeld der Kultur-Verwüstung? Dazu das Elend der unerhörten Teuerung und der Mangel an Lebensmitteln!! – || Persönlich bin ich froh, daß ich bald diese „schlechteste aller Welten“ verlassen werde. Seit 4 Wochen nimmt mein altes Herzleiden (Arteriosklerose etc.) bedenklich zu. Die Kräfte haben in den letzten 14 Tagen so abgenommen, daß ich nicht mehr ausgehen, auch kaum die Treppen heraufsteigen kann. Meine Kinder aus München und Leipzig erwarte ich in den nächsten Tagen, wahrscheinlich zum Abschied! –

Ihnen, lieber Freund, als einen meiner besten und treuesten Schüler, danke ich nochmals herzlich für alle erwiesene Güte und Liebe! Es waren doch schöne Zeiten, als wir 1871 in Lesina und 1875 in Korsica uns der herrlichen Fauna mediterranea erfreuen konnten!

Mit herzlichsten Grüßen und mit besten Wünschen für Ihr und Ihrer Familie Wohlergehen treulichst Ihr alter

Ernst Haeckel.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
19.09.1917
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 33218
ID
33218