Ernst Haeckel an Arnold Lang, Jena, 10. Mai 1892
Jena 10. Mai 1892.
Lieber alter Freund!
Längst ist in Gedanken ein Brief (oder vielmehr viele Briefe) an Sie abgeschickt; ehe es aber bei mir zum Schreiben kommt, giebts tausend Hindernisse. Der Winter war bei uns sehr unruhig; vor Weihnachten die Heirath unserer Tochter (der es in L. sehr gut geht); nachher viel Arbeit; dann 3 Monatliche Influenza (die hier sehr bösartig und sehr allgemein war); besonders meine Frau litt sehr; jetzt sind wir wieder ganz munter. Der arme Frommann (bei dem sich übrigens ein Herzfehler und Hydrops entwickelt hatte) ist vor 3 Wochen (61 J. alt) den Folgen der Influenza erlegen, der erste Todesfall im Referir-Abend! Letzterer blüht sonst, läßt uns aber häufig Ihre höchst werthvolle Theilnahme vermissen! Für die schönen Abhandlungen über Mammuth und Augen d. Mollusken besten Dank! Wir sind sehr gespannt auf die Fortsetzung des Lehrbuchs; hoffentlich kommen die Mollusken nun bald!
Auf die alberne nörgelnde Kritik von Ray Lankester in der „Nature“ hätte ich beinahe kurz erwidert! Ich kenne ihn eben seit 20 Jahren als echt englischen „Querkopf“ und weiß, daß er nicht zu überzeugen ist! Ebenso wenig werde ich auf die neusten Elaborate meiner „lieben Schüler“ antworten, Hr. Dr. Dreyer und Hr. Prof. Hamann. Wenn Letzterer Ihr Nachfolger in der Ritter-Professur geworden wäre (wie er bestimmt hoffte!) würde er heute genau das Gegentheil behaupten.
Erinnern Sie sich vielleicht, wer hier unter Ihrer Leitung die Flagellaten von Bütschli (I. Bd. von Brown) benutzt hat? Dieser Theil fehlt; Geh. Rath Pohle hatte Sie in Verdacht unbewußter Annexion?! Wir wollen dies nicht glauben! Kükenthal u. Familie geht es gut; er hat sehr schönes Cetac. Embr. Material. Von Semon (der noch 1 Jahr in Australien bleibt) sind sehr schöne Sammlungen eingetroffen.
Mit herzlichsten Grüßen u. besten Wünschen stets Ihr treuer
Ernst Haeckel.