Dohrn, Anton

Anton Dohrn an Ernst Haeckel, [Berlin], 18. Mai 1865

Lieber Ernst!

Dein Brief hat mir rechte Zuversicht gemacht, und die war mir nöthig, für eine aufrichtige Prüfung der gefassten Entschlüsse. Nun will ich Dir sagen, was mir bevorsteht, und was ich anfangen will.

Mein Vater hat mich mit ganz vernünftigen Gründen gebeten, ehe ich mit dem geliebten Mädchen ein festes, unauflösliches Verlöbnis einginge, mir eine irgendwie geartete, festere Stellung zu begründen. Es handelt sich dabei natürlich nichta um meinen Lebensunterhalt, aber um eine Stellung, die wenigstens einen so geachteten Namen besitzt, wie die Dozentenschaft an einer Universität. Diess will ich nun auch auf dem kürzesten Wege zu erreichen hoffen. Und nun wundre Dich nicht, dass ich sofort die Medizin an den Nagel gehängt habe, und viribus unitis auf die Zoologie allein hinarbeitenb will. Die Reise mit Dir soll mir dazu die Grundlage geben, und wenn die geschlossen ist, kehre ich zurück – nach Jena! Und ich hoffe, liebster Ernst, Du nimmst Deinen Freund wieder unter die Zahl Deiner Schüler auf, und bevorzugst ihn so, dass er unter Deiner Leitung in 2 Jahren irgendwo Dozent sein kann, und dann mit dem wilden Liebling Therese Zitelmann (der Namec ja unter uns!) einen eignen, wenn auch kleinen, doch reizenden Hausstand begründen kann. Ich glaube, selbst gegen Deine Autorität, dass mir das fortgesetzte Studium der Medizin kein Förderungsmittel für meine wissenschaftlichen Endzwecke, die doch die Morphologie umfassen, gegeben hätte: ich bin trotz noch neulich behaupteten Gegentheils der festen Ueberzeugung, ein ehrliches, unter Deiner sachkundigsten Leitung begonnenes zoologisches Arbeiten schafft mich schneller an den Platz, den ich erstrebe, als das Staats-Examen; denn Arzt will ich und mag ich durchaus nicht werden. ||

Du hast also schon jetzt vollkommen recht, wenn Du geglaubt, das folgenschwere Ereigniss würde auf mich einen veredelnden Einfluss haben. Das Ueberflüssige aus seinem Leben entfernen, heisst richtig leben: die Medizin war bei mir überflüssig, seit ich den festen Willen habe, nur der zoologischen Carrière das Beste meiner Kraefte zu weihen, und dabei mich des Glücks zu bedienen, dass einer der Bessten Lehrer auch zugleich einer meiner bessten Freunde ist, und mir gewiss, die Hand zur Erreichung meines Glücks heben und führen helfen wird.

Berlin hat mir als Menschen grosse Dienste geleistet: ich habe viel bedeutende Menschen kennen gelernt, den Geschmack geläutert, den Verstand vielseitiger gebildet und an innerem Halt bedeutend gewonnen. Aber Berlin hat mir für mein Fach nichts gegeben und konnte mir nichts geben. So fühle ich die doppelte Nothwendigkeit, um etwas zu werden und um Theresen zu erlangen, wieder dahin zu gehen, wo mir das Lernen leichter gemacht und die Zerstreuung fast unmöglich wird. Schreib mir, liebster Freund, ob Du einverstanden bist, ob Du mich aufnehmen willst: vergelten will ich es mit treuster Freundschaft und dem von Dir ja hoffentlich erprobten und wohlgekannten reichen, empfindungsreichen Herzen, das uns ja gegenseitig immer aneinander schloss. –

Ein Bild des geliebten Wildfangs Dir zu schicken, ist mir unmöglich, denn ich besitze nur eins, das noch dazu unähnlich und mir von Theresens Cousin, meinem nahen Freunde und unserm beiderseitigen Vertrauten, abgetreten ist. Aber Du kannst Dir ein Bild von Schönheit, Kraft, idealer Jugendfrische und sprudelndem Uebermuth machen, – das ist mein kleiner Punix, wie ich sie nenne, nach bäuerlicher Orthographie des Wortes Ponny. Sie ist so auffallend schön, das ganz Stettin sich mit Vergnügen hat Körbe || geben lassen, und noch heut darf sie sich dieses Amtes nicht für überhoben halten, denn mehrere meiner Altersgenossen und früherer Schulkameraden, bammeln noch in den Schmerzen, welche Punixens sprödes Herz ihnen auferlegt. Aber mein ist das liebe Kind mit der leidenschaftlichsten Neigung, und sie soll sich nicht in mir verrechnet haben. Dafür steht mein treuer Eckhard, der mich nach dem Satz: Volenti non fit injuria! recht in den Jenenser Arbeitstisch einspannen soll.

Antwort nur auch hierauf recht schnell, wenn auch kurz; ich freue mich, es Theresen sagen zu können, dass Du mir helfen wirst. Wir danken es Dir ja Beide mit dem innersten Herzen.

Nun gute Nacht, treuer Eckhard; wir wollen uns fest zusammenhalten.

Dein

bei aller sehnsüchtiger Traurigkeit

doch glücklicher

Anton

Donnerstag 18. Mai 1865.

Es würde mir sehr lieb sein, lieber Freund, wenn Du mir einen Brief schriebst, in dem Du mich auffordertest, wieder nach Jena zurückzukehren, bei Dir zu arbeiten; ich möchte ihn gern den unbequemen Fragern praesentiren. Du kannst mich als „Assistenten“ tituliren, wie Du willst, nur damit ich meinen Schritt motiviren kann, ohne meine Geheimnisse beschädigen zu müssen.

Johann Jacoby werde ich sobald als möglich um sein Bild bitten.

a korr. aus: natürlichnicht; b eingef.: hin; c eingef.: der Name

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
18.05.1865
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 3293
ID
3293