Dohrn, Anton

Anton Dohrn an Ernst Haeckel, Stettin, 3. Dezember 1864

Stettin 3.12.64.

Lieber Haeckel!

Als ich neulich Gerhardt zur Verlobung gratulirte, bat ich ihn Dich zu grüssen und Dir einen baldigen Brief von mir anzuzeigen. Heute, wo ich meine Eltern zu besuchen auf zwei Tage von Berlin hieher gefahren bin, habe ich Zeit und Ruhe genug zum Schreiben. Voran schicke ich gleich die Bitte, Du mögest mir von Deinem Ergehen, wie es Dich innerlich und aeusserlich betrifft, recht bald Mittheilung machen, denn, wenn ich auch lange schweige, so bist Du sicher, dass ich Dir in Freundschaft und Gesinnung immer nahe verbunden bleibe. –

Mir geht es recht gut. Aber ich glaube, Du würdest mich kaum wiedererkennen, so verändert habe ich mich, – nicht körperlich, obwohl ich immer dicker werden soll, aber in meinem Thun und Denken. Das fürchtest Du natürlich nicht, dass ich etwa fromm geworden wäre, – aber ich kann Dir sagen, dass das Darwinsche Samenkorn, das Du in mich gelegt hast, förmlich wuchert und meinem ganzen Dasein eine Wendung gegeben hat. Ich bin fest überzeugt, Du würdest Freude dran haben, wenn Du mit mir darüber sprächst, denn ich habe viel gelernt und viel gedacht, um diese Theorie fest aufrichten zu helfen. Dabei ist es denn auch bei mir zu einer Frühgeburt gekommen, welche nur dem Umstande ihre Ungefährlichkeit für mich verdankt, dass Virchow den Geburtshelfer spielte. Du erinnerst Dich wohl noch, dass Du mich auffordertest gegen Kölliker’s famose heterogene Schöpfung aufzutreten, – das habe ich denn auch gethan, in einer – allerdings nur Manuscript gebliebenen – Brochüre, die ich Dir so wie ich nach Berlin zurückkomme übersenden will. Du wirst gleich sehen, wenn Du Dich die Mühe nicht verdriessen lassen willst, die Schrift zu lesen, dass ich zu heftig geworden bin, – nun das wirst Du gewiss nicht unerklärlich finden, und wenn ich irgendwo herzlicher Beistimmung gewiss bin, so ist es bei Dir. ||

Als ich nun mit der Schrift hier in Stettin vorrückte und zum Druck schreiten wollte, meinte mein Vater: ich sei wahnsinnig, denn ich verdürbe mir meine ganze Carrière. Nun, davor habe ich nun zwar keine Angst, aber um den Eltern den Gefallen zu thun, gab ich es zu Virchow um seine Meinung zu befragen. Der rieth mir nun auch, lieber davon abzustehen, denn ich thäte Kölliker entschieden Unrecht. Kurz – das Ende davon war: ich liess nicht drucken, allerdings mit schwerem Entschluss, denn die Hiebe die der heterogene Schöpfer haben sollte, waren keinesfalls Sauhiebe! Zugleich aber schwor ich, wie Karl Moor, mich nicht mehr mit Kleinigkeiten abzugeben. Ich habe jetzt den Plan gefasst, – und habe dazu schon eine Menge Vorarbeiten gemacht, – die Darwinsche Theorie in toto populär zu bearbeiten. Und um ein möglichst gangbares Buch zu schaffen, werde ich mich nicht damit begnügen, die Thatsachen darzustellen, sondern ich werde ein vielfach gegliedertes Gebäude aufführen, worin aller Köder, die einem Buch ein Publicum gewinnen können angewandt werden sollen. Ob ich dazu das Zeug habe, bezweifle ich nicht; das sieht natürlich sehr eingebildet aus, ist es aber nicht; ich habe wenigstens gesehen, dass die kleine Brochüre, die ich in noch nicht 14 Tagen geschrieben habe, überall, was Stil und Form anlangt, sehr gefallen hat, – und das ist das Geheimnis eines wirksamen Populär-Stieles. Sieh nur den guten Rolle an, der ist so bodenlos langweilig, dass sein Buch nur höchst geringen Nutzen stiftet, im Vergleich zu dem wunderbar reichhaltigen Material, das er bearbeitet. Aber Du kannst ungefähr denken, wohin ich ziele, wenn ich Dir den Titel des zukünftigen Werkes andeute: Die Darwinsche Theorie, ihre Bedeutung, ihre Folgen und ihre Gegner. Nun sag mir ein Gebiet des menschlichen Denkens und Wissens, auf das ich nicht zu kommen brauchte! Und nun in heutiger Zeit! – Sag mir nicht etwa, dass ich mir schadete, wenn ich ein so allgemeines Werk begönne, – ich versichere Dich, und Du wirst es ja gewiss selbst erfahren haben – dass je grösser der Zweck der Anstrengung wird, um so grösser wird auch die Anstrengung und ich arbeite wie ein Pferd. Ein Geheimnis Zeit zu gewinnen, habe ich Dir jetzt auch abgelauscht: ich schlafe nämlich höchstens 7 Stunden, gewöhnlich nur 6. Und ich bin überrascht, von welcher a Bedeutung es ist, täglich 2 Stunden zu gewinnen! – Mein Physicum habe ich im Anfang des vergangnen Sommers gemacht, nach dem kommenden Ostern werde ich das philosophische Doctor-Examen machen, und dann sofort an die Ausarbeitung des obengenannten Buches gehen. Zugleich höre ich die zum Staatsexamen nothwendigen Medizinalia, womit ich jetzt in täglich 5 Collegien schon beschäftigt bin. Ausserdem höre ich jetzt bei Beyrich Palaeontologie: Du hast keine Idee, wie langweilig das ist. Der Kunde nimmt nämlich blos Muscheln durch || und beschreibt eine Gattung nach der andern. Es ist für unser Einen grade, als müsse er um 100 Jahre sich zurückversetzen! – Carl Vogts zoologische Briefe studire ich jetzt mit der Feder in der Hand. Es ist doch Meisterwerk! Dieser Mann ist doch durch und durch ein Genie. Was mir an seiner Persönlichkeit noch besonders interessant ist, und was Du vielleicht gar nicht weisst, ist: er ist ein fein gebildeter Musiker. – Ich bitte Dich noch, mir anzugeben, wie und wo ich mich am besten über Salpen, Quallen etc. und über pelagische etc. Crustaceen unterrichte, denn Du musst wissen, dass ich sowie ich mein Staatsexamen gemacht haben werde, nach Cypern gehen will. Ist das nicht eine gute Idee? Vielleicht nimmst Du Urlaub und kommst mit! – Was ich für Luftschlösser habe, nicht wahr? Ja, lieber Freund, und nichts desto weniger kann ich Dir sagen, dass dies immer die Ideale waren, nach denen mein Wesen strebte; ich habe sie nie aus den Augen verloren, und kann wohl behaupten, sie kommen mit jedem Jahre, mit jedem Tage ihrer Verwirklichung näher. Denk nur, dass ich den ungeheuren Vortheil habe, Geld genug für alle die Pläneb zu besitzen, und Geist genug, mich nicht durch vorübergehende Dinge beengen zu lassen. Ach wie gern wünschte ich, dass Du schon in Berlin wärest, denn Du gehörst doch mit Deinen Bestrebungen nicht nach Jena! Und was gewönne ich, wenn Du da wärst; – glaub’ es mir oder glaub es mir nicht, aber ich sehne mich oft danach, mich mit Dir recht zu verständigen, denn wenn ich auch in Berlin viel und vortrefflichen Umgang mit den geistreichsten und hervorragendsten Menschen habe, – es fehlt mir doch Jemand, der wie Du meine speciellsten Aspirationen theilt und mir von übergrossem Nutzen sein könnte! Giebt es keine Aussicht für Dich? – Fast hätte ich vergessen, Dir zu erzählen, dass Heinrich nach den Capverdischen Inseln abgegangen ist. Ich fürchte aber es wird nicht viel dabei herauskommen, als Sammlungen von Insecten, Conchylien-Schalen, und Vogelbälge; leider hat er es gänzlich aufgegeben, sich mit was Anderm als der jammervollen Systematik zu beschäftigen. Hoffentlich bekommt ihm aber die Reise gut. – Hast Du Jäger’s Zoologische Briefe gelesen? Was Du mir zur Darwin-Literatur angeben kannst, sag mir, denn ich verwerthe Alles. –

Nun adieu; hoffentlich denkst Du nicht ganz so schlecht von mir, wie Viele andre; Du wirst gewiss einsehen, dass ich eines grösseren Ziels bedürftig bin, um die vielen kleinen Schritte, die unser Eins zu machen hat, nicht zu scheuen. Ich habe nur eine Aversion gegen planloses, vereinzeltes Arbeiten. Seh ich Dich nicht mal?

Auf baldige Antwort hoffend und rechnend

Dein treuester Freund

Anton D.

Unter den Linden 33. 3 Treppe

Viele Grüsse der Eltern an Dich.

a gestr.: Bedet; b gestr.: Dinge, eingef.: Pläne

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
03.12.1864
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 3290
ID
3290