Ernst Haeckel an Paul von Rottenburg, Wildungen, 17. August 1906
ZOOLOGISCHES INSTITUT
DER UNIVERSITÄT JENA.
Wildungen | 17.8.1906
Liebster Freund!
Meinen herzlichen Dank für Deinen lieben letzten Brief und die sehr gelungenen Photogramme hätte ich Dir schon vor Monatsfrist abstatten sollen; verzeihe die Verzögerung! Allein der Juli (immer für mich der unruhigste Monat im Jahr) war dieses Jahr ganz besonders ohne Rast für mich: täglich ein Dutzend Besuche von durchreisenden Ferien-Lehrern, Welträthsel-Fragern, neugierigen Jünglingen und Blaustrümpfen, dazu eine Menge außerordentlicher Arbeit und Correspondenz. ||
Am 11. August konnten wir endlich unsere Ferienreise antreten, waren zunächst 5 Tage mit der Schwester meiner Frau in Ilmenau zusammen, und fuhren am 16. hierher, um uns einer Badekur von 3–4 Wochen zu unterziehen. Wir wohnen hier in einer kleinen Pension (Villa Victoria) recht behaglich und sind mit dem Gebrauche der berühmten „Helenenquelle“ recht zufrieden. Das gefährliche Herz taugt sowohl bei mir, wie bei meiner Frau, nicht mehr Viel – ebenso die Nieren. Wir machen bescheidene Spaziergänge in die schöne waldreiche Umgebung von Wildungen. ||
Für Deine liebenswürdige Einladung nach Schottland danke ich Dir herzlich! Ja, wenn ich ganz gesund und 10 Jahre jünger wäre! Aber ich fürchte, daß meine Reisen sich fernerhin innerhalb der deutschen Grenzen halten, oder bald ganz aufhören werden. Seit meiner Erkrankung im Herbst 1905, als ich den schönen Tag in Frankfurt a/M mit Dir verlebte, bin ich nicht wieder in den Vollbesitz meiner alten Kräfte gelangt. Man muß eben mit der biblischen Altersgrenze von 70 Jahren rechnen, die ich bereits um 2 Jahre überschritten habe. Auch nimmt die stille Resignation stetig zu. ||
Mitte September denken wir wieder in Jena zu sein. Dann wird auch Lisbeth mit ihren beiden Töchterchen auf ihrer Landgrafen-Villa wohnen (bis Mitte October). Sie ist seit einem Monat in Klosters (Engadin) (Hôtel Silvretta). –
Meine Nichte, Frl. Dahrenstaedt, die am Tage Deines Besuchs in Jena bei uns zu Gaste war, hat immer noch an Ihrer schweren Ischias zu leiden; sie lag einen ganzen Monat im Hospital und liegt jetzt in einer Pension.
– Hoffentlich ist Dein nächster lieber Besuch in Jena nicht so flüchtig wie der letzte war!
Mit herzlichsten Grüßen von Haus zu Haus Dein treuer
E. Haeckel.