Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Paul Rottenburg, Jena, 27. November 1890

Jena 27. Novbr 90

Lieber Freund!

Die Vollendung einer sehr dringlichen Arbeit über „Plankton“ (die ich Dir in 2–3 Wochen senden werde), läßt mich nach langer Pause erst heute wieder zum Briefeschreiben kommen; und da sollst Du zuerst an die Reihe kommen, mit herzlichstem Dank für die vier herrlichen „Grouses“, die in bestem Zustande hier ankamen, und uns vor 14 Tagen einen eben so raren als delicaten Sonntagsbraten lieferten! ||

– Die beiden ersten October-Wochen in Holland waren wunderbar schön, und in jeder Beziehung so vom Glück begünstigt, daß sie fast an die unvergeßlichen Wochen heranreichen, welche ich – Dank Deiner reizenden Gastfreundschaft! – im Herbst 76 bei Dir in Schottland verlebte. Meine Freunde in Haag, Amsterdam u. Utrecht wetteiferten, um mir alle erdenklichen Freuden und Ehren zu bereiten, so daß ich einige Mühe hatte, mich wieder an das stille Arbeitsleben in dem kleinen Jena zu gewöhnen. ||

Die 4 Wochen, die ich vorher mit Familie in der Schweiz zubrachte, waren sehr ungleich. Die beiden letzten August Wochen (in Beatenberg) viel Regen, u. zuletzt tiefer Schnee, die beiden ersten Sept. Wochen in Interlaken wundervoll.

Wir haben Viel Deiner gedacht. Durch die vielen Drahtseil Bahnen wird das Reisen jetzt sehr bequem; auch meine arme Frau, die fast den ganzen Sommer sehr leidend war, u. sich sehr langsam erholte, hat mehr Genuß von der Reise gehabt, als sie dachte. ||

– Augenblicklich leiden wir unter großer Saal-Überschwemmung bei –10° Kälte! Vorgestern sind im tieferen Stadttheil (an der Saalbrücke) nach Mitternacht 15 Häuser zusammengestürzt, u. dabei ein Dutzend Menschen umgekommen.

Das Elend ist sehr groß.

Hoffentlich ist bei Euch Alles wohl!

Mit herzlichsten Grüßen

Dein treuer

E. Haeckel.

 

Letter metadata

Verfasser
Datierung
27.11.1890
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 32776
ID
32776