Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Carl Theodor Ernst von Siebold, Jena, 27. Januar 1871

Jena 27 Januar 71

Hochverehrter Freund und College!

Empfangen Sie meinen herzlichsten Dank für die ausführlichen und mir sehr werthvollen Mittheilungen, die Sie in Ihrem letzten Briefe mir über die Wiener Universitäts-Verhältnisse zu geben die Güte hatten. Die Angelegenheit ist nun endlich, nachdem ich mir fünf Wochen lang sie von allen Seiten überlegt und möglichst umfangreiche Erkundigungen eingezogen hatte, entschieden worden, und zwar habe ich gestern a ablehnend nach Wien geantwortet. Sie werden sich dies vielleicht schwer erklären können, würden aber, wie ich glaube meinen Entschluß billigen, wenn Sie die beiderseitigen Stellungen in Wien und Jena, so wie ich es in den letzten Wochen zu thun im Stande war, mit allen ihren Licht- und Schatten-Seiten vollständig vergleichen könnten. ||

Ich war in den ersten Wochen nach Empfang der Wiener Berufung eigentlich schon b entschlossen, dieselbe anzunehmen, besonders nachdemc ich Ihren Rath und die Meinung Ihres Collegen Zittel eingeholt hatte. Schon war ich im Begriff, Ihrem Rath folgend, mich selbst nach Wien zu begeben, um dort persönlich die Einzelheiten der Stellung zu arrangiren. Da empfing ich noch zur rechten Zeit sehr ausführliche Mittheilungen von einem, mit den Wiener Verhältnissen genau vertrauten Freunde, welche mir die Angelegenheit in einem ganz anderen Lichte zeigte, und mich warnte, die Reise zu unternehmen, wenn ich nicht zur Annahme schon fest entschlossen wäre.

Vor Allem wurde mir dadurch zur Gewißheit, was ich schon vorher fürchtete, daß mir die zoologische Professur in Wien nicht die volle Unabhängigkeit bieten würde, auf die ich das größte Gewicht lege und die ich thatsächlich hier in vollsten Maaße genieße. ||

In weit umfassenderem Maaße, als Sie zu glauben scheinen, hat sich Schmarda in den letzten Jahren eine Anzahl von wichtigen Vortheilen und Ansprüchen – in Bezug auf Direction der Sammlungen, Abhaltung der Examina, der Vorlesungen u.s.w. – zu sichern gewußt. Ihn aus dieser gesicherten Position zu vertreiben, ist nicht mehr möglich. Dieser Umstand allein schon, daß ich in der Direction der zoologischen Sammlung und in meinem eigensten Wirkungskreise nicht völlig selbstständig dastehen könnte, würde mir d die eigentliche Freude und die volle Kraft der Wirksamkeit nehmen. Zudem soll auch der persönliche Verkehr mit Schmarda sehr schwierig sein. – Ferner würde ich das zootomische Institut nicht in dem von mir beantragten Umfange erhalten haben, da ein solches in Wien erst kürzlich mit großen Kosten hergerichtet und dem großen Zinkographen Brühl – einen wie ich höre, ganz entsetzlichen Collegen – übergeben worden ist. ||

Überhaupt lauten die Nachrichten, welche ich bei dieser Gelegenheit von verschiedenen Seiten über die collegialen Verhältnisse der Wiener philosophischen Facultät – und vorzugsweise über unsere morphologischen Collegen – Schmarda, Brühl, Stricker, Karsten – erhalten habe, Nichts weniger als einladend. Da sind wir hier in Jena doch bedeutend besser dran!

Während ich nun theils aus den oben angeführten Gründen, theils aus den in meinem letzten Briefe angeführten Bedenken, alle Neigung verlor, die Wiener Stelle zu übernehmen, so hatte inzwischen die hiesige Regierung – die überhaupt in den zehn Jahren meiner hiesigen Wirksamkeit stets bereitwilligst meinen Wünschen entgegen gekommen ist, Alles Mögliche gethan, um mich hier zu fesseln. Mein Gehalt ist verdoppelt worden, und auch sonst alle meine Wünsche in Bezug auf Sammlung etc. erfüllt worden. ||

Unter diesen Umständen ist mir der gestern gefaßte und auch nach Wien gemeldete Entschluß, auf die verlockende dortige Stellung zu verzichten, leichter geworden, als ich noch vor acht Tagen dachte, und ich hoffe, ich werde ihn nicht bereuen. Meine hiesige Stellung ist jetzt in der That in jeder Beziehung so angenehm, als ich nur wünschen kann, und bietet mir Alles, was eine kleinere oder mittlere Universität überhaupt bieten kann.

Nähere Mittheilungen erspare ich mir auf mündliche Mittheilungen. Ich hoffe nämlich, zu Ende der Oster-Ferien Sie sprechen zu können. Ich gehe Anfang März auf sechs Wochen nach Dalmatien, um die Untersuchungen für meine Monographie der Kalkschwämme zum Abschluß zu bringen, und denke auf der Rückreise (Ende April) einen oder zwei Tage in München zu bleiben. ||

Inzwischen erlaube ich mir nochmals Ihnen meinen herzlichsten Dank für Ihre freundschaftlichen und ausführlichen Mittheilungen abzustatten, und bleibe

in vorzüglicher Verehrung

Ihr ergebenster

Haeckel.

a gestr.: d; b gestr.: d; c korr. aus: der; d gestr.: allein schon

 

Letter metadata

Verfasser
Datierung
27.01.1871
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 32688
ID
32688