Haeckel, Ernst

Carl Theodor Ernst von Siebold, Jena, 15. Februar 1869

Jena 15. Februar 69.

Hochverehrter Herr College!

Mit der Untersuchung und Beschreibung der schönen fossilen Medusen aus Ihrem herrlichen Münchner paläontologischen Museum bin ich jetzt endlich fertig geworden, und habe heute die Petrefacten an Herrn Prof. Zittel zurückgesandt. Den Aufsatz darüber, nebst drei Tafeln, habe ich an Engelmann zur Aufnahme in Ihre Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie gesandt. Die Tafeln sind photographirt und werden am besten in Lithographie wieder gegeben werden.

Von den drei am besten erhaltenen Medusen-Petrefacten hat sich die erste (größte) als eine riesige Aeginide (Pelaegina), die zweite als eine Rhizostomee (Leptobrachites) und die dritte (kleinste) als Repräsentat einer ausgestorbenen Medusenfamilie (Eulithota) erkennen lassen. ||

Zugleich mit dieser Arbeit habe ich an Engelmann zur Aufnahme in Ihre Zeitschrift einen zweiten Aufsatz gesandt: „Über die Crambessiden, eine neue Medusen-Familie aus der Rhizostomeen-Gruppe“. Er enthält die ausführliche Beschreibung einer sehr merkwürdigen neuen Meduse, welche trotz ihrer beträchtlichen Größe (1–2 Fuß) und trotz ihres häufigen Vorkommens in der Tajo-Mündung bei Lissabon bisher zugleich übersehen zu sein scheint. Wegen der Ähnlichkeit ihrer die 8 langen Arme besetzenden Saugknöpfe mit krausen Kohlköpfen habe ich sie die „kohlähnliche“ (Crambessa – κραμβηεσσα) genannt. Abweichend von allen anderen höheren Medusen (mit 4 oder 8 getrennten Geschlechtsdrüsen) bilden die Geschlechtsorgane hier eine einzige centrale kreuzförmige Tasche im Centrum der Scheibe, oberhalb || der Magenhöhle. Ich beobachtete diese Meduse im November 1866 während einer fünftägigen Quarantaine-Haft im Lazareth von Lissabon.

Der Aufsatz über Crambessa ist von 2 Tafeln begleitet, welche ich Engelmann gebeten habe durch Wagenschieber in Kupfer stechen zu lassen. Der Text beträgt gegen 3 Bogen.

Hoffentlich befinden Sie sich wohl. Mir geht es gut. Ich bekommen ein neues zoologisches Laboratorium, dessen Einrichtung mir während der Oster-Ferien Viel wird zu thun geben.

An unserer Universität ist dieser Winter sehr bedeutender Personen-Wechsel gewesen. Czermak siedelt nach Leipzig über. Der Senior unserer Universität, der Philolog Göttling, starb. ||

Der schwerste Verlust aber war der Tod des ausgezeichneten vergleichenden Sprachforschers August Schleicher, dem ich auch persönlich sehr nahe stand.

Dagegen haben wir eine tüchtige junge Kraft an dem jungen Botaniker Strasburger aus Warschau gewonnen, der mehrere Jahre hier studirte.

Ich hoffe, Ihnen in einigen Monaten meine (auf den canarischen Inseln im Winter 1866/67 a untersuchte) Entwicklungsgeschichte der Siphonophoren übersenden zu können, deren Veröffentlichung durch die Anfertigung der 14 Tafeln sehr lange verzögert worden ist.

Mit vorzüglicher Hochachtung

Ihr ganz ergebener

Haeckel.

a gestr.: )

 

Letter metadata

Verfasser
Datierung
15.02.1869
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 32684
ID
32684