Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Carl Theodor Ernst von Siebold, Jena, 4. Januar 1869

Jena 4 Januar 69.a

Hochverehrter Herr College!

Mit meinen besten Glückwünschen für das neue Jahr sende ich Ihnen zugleich meinen herzlichsten Dank für Ihren freundlichen Brief. Sie können denken, wie sehr mich derselbe erfreut hat. Es macht mich immer besonders glücklich, wenn neben b vielen jüngeren Naturforschern auch manche ältern und erfahrenen Fachgenossen meinen mühsamen Untersuchungen ihren aufrichtigen Beifall als besten Lohn schenken! Fast gleichzeitig mit dem Ihrigen erhielt ich auch von dem alten Lyell, der trotz seines hohen Alters noch mächtig mit der Wissenschaft fortschreitet, einen langen Brief, worin mir derselbe seine lebhafte Theilnahme ausdrückt, und meine Bestrebungen, die natürliche Entwicklungsgeschichte der organischen Welt zu fördern, freudig anerkennt. Indeß sind solche günstigen Urtheile, wie das von Lyell und das von Ihnen, doch unter den älteren Herren nur Ausnahmen, und ich finde das auch ganz natürlich. ||

Denn um eine so gewaltige Umwälzung, wie die bisherige Zoologie und Botanik durch die Descendenztheorie erleidet, anzuerkennen, oder an deren Förderung selbst noch Theil zu nehmen, muß man so stetigem Schrittes mit der Wissenschaft fortgeschritten sein, wie es bei Ihnen und bei Lyell ununterbrochen der Fall gewesen ist. Leider sind Sie aber doch nur seltene Ausnahmen, und die Meisten von unseren Collegen, welche die Fünfzig überschritten haben, besitzen dann keine Anpassungsfähigkeit mehr für eine neue Idee. So höre ich z. B. daß der alte Bär, den ich hoch verehre, jetzt voll Ärger und Mißgunst gegen Darwin und seine Theorie sein soll, während er doch selbst in seiner Jugend nahe dran war, c der Descendenz-Theorie auf die Spur zu kommen, und sich verschiedene Male in sehr darwinistischem Sinne entschieden ausgesprochen hat! ||

Was die von Bischoff gerügte zu große Ähnlichkeit der Embryonen von Mensch und Hund betrifft, so erklärt sich diese einfach daher, daß ich die beiderlei Embryonen auf meinen Tafeln (S. 240, b, c) auf gleiche Größe reducirt, in gleiche Stellung gebracht, und in gleicher Manier ausgeführt habe. Im Übrigen sindd die Formen derselben ganz genau theils nach der Natur copirt, theils aus allen, bisher über diese frühere Studien bekannt gewordene Abbildungen zusammengestellt. Dabei möchte ich Bischoff noch besonders darauf aufmerksam machen, daß die verschiedenen Abbildungen menschlicher Embryonen von gleichem Alter (aus der IV–VIII Woche) bei den verschiedenen Autoren unter sich mehr verschieden sind, als von den Hunde-Embryonen gleichen Alters! Dies kann man schon aus den Embryonen-Tafeln in Eckers „Icones physiologicae“ sehen!

Übrigens wird Bischoff wohl selbst nicht leugnen wollen, daß in einem wenig früheren Stadium geradezu gar keine Unterschiede zwischen Mensch und Hund vorhanden sein können. ||

Den Aufsatz über die fossilen Medusen des lithographischen Schiefers, nebst Abbildungen der von Prof. Zittel freundlichst geliehenen Exemplare, werden Sie in einigen Wochen erhalten. Ich habe dabei Ihre sehr wichtigen Bemerkungen über die große Vorsicht, welche bei Beurtheilung mangelhafter Abdrücke anzuwenden ist, wohl beherzigt, und bin auch zu der Ansicht gelangt, daß die seltenen Formen, welche wir für Siphonophoren-Reste hielten, nicht organischen Ursprungs sind, sondern durch symmetrisches Einsickern einer e Salzlösung von beiden Rändern eines feinen Sprunges aus bewirkt.

Ich bedauere sehr, daß ich von meiner Monographie der Moneren und von dem Vortrage über „den Stammbaum des Menschen“ keine Abdrücke mehr übrig habe. Doch will ich sehen, daß ich Ihnen das Heft der „Jenaischen Zeitschrift“ schicken kann, worin der erstere steht. Sie sind dann wohl so gütig es gelegentlich zurückzuschicken.

Mit wiederholtem Dank für Ihr freundliches Schreiben und mit der Versicherung aufrichtiger Verehrung

Ihr ergebenster

Haeckel.

a irrtüml.: 68.; b gestr.: d; c gestr.: selbst; d korr. aus: d; e gestr.: Lös

 

Letter metadata

Verfasser
Datierung
04.01.1868
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 32683
ID
32683