Ernst Haeckel an Herbert Spencer, Jena, 1. November 1867
Jena 1 November 67
Hochgeehrter Herr!
Für Ihren freundlichen, gestern erhaltenen Brief sage ich Ihnen meinen herzlichsten Dank, ebenso für Ihr gütiges Anerbieten, mir ein Exemplar der neuen Ausgabe Ihrer „first Principles“ zu senden, welches ich sehr gern annehme. Nachdem unser Freund Huxley mich auf Ihre „first Principles“ und „Principles of Biology“ aufmerksam gemacht hatte, habe ich dieselben mit grossem Interesse gelesen, und gesehen, dass wir sehr viele gemeinsame Ideen entwickelt haben. Aber Sie haben viele wichtige Grundsätze strenger philosophisch begründet, als ich es konnte, und als ich es in meiner „Generellen Morphologie“ versucht habe. ||
Meine vielen Berufs-Arbeiten und die mancherlei speciellen zoologischen Untersuchungen, mit denen ich immer beschäftigt bin, lassen mir leider nur wenig Zeit, um mich mit Philosophie soviel zu beschäftigen, als ich gern wollte. Die gegenwärtig überall, auch in Deutschland, immer mehr zur Geltung kommende Erkenntniss, dass allgemeine Philosophie und specielle Naturwissenschaft sich gegenseitig völlig ergänzen und durchdringen müssen, und den gewaltigen Fortschritt, den unsere menschliche Welt-Erkenntniss durch Darwin’s Entwickelungs-Theorie gemacht hat, halte ich aber für so bedeutend, dass ich solche Werke, wie die Ihrigen, mit besonderem Interesse begrüsse, und mit grossem Nutzen lese. ||
Falls Sie meine „generelle Morphologie der Organismen“ noch nicht besitzen, würde es mir ein besonderes Vergnügen sein, Ihnen ein Exemplar davon zu übersenden, und ich bitte Sie, mir in diesem Falle bald Nachricht zu geben. Ich werde Ihnen dasselbe dann durch Reimer und Williams und Norgate senden. Ich glaube, dass Sie wohl Einiges Sie interessirende finden werden in den Capiteln 5, 9, 10 (Individuenlehre) des ersten Bandes, und in den Capiteln 16, 17, 19 des zweiten Bandes (Entwickelung als nothwendige Folge der Wechselwirkung) von Anpassung und Vererbung.
Mit aufrichtiger Hochachtung
Ihr ergebener
Ernst Haeckel