Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Bernhard Weißenborn, Jena, 7. November 1888

Jena 7. November 1888.

Lieber Herr Doctor!

Schon längst hätte ich Ihnen geschrieben und für Ihre beiden sehr interessanten Briefe gedankt, wenn nicht im Sommer meine übermäßige Arbeitslast alle Correspondenz erschwert, und später die Zeitungs-Ente von Ihrer demnächstigen Rückkehr mich zum Warten bewogen hätte. Jetzt lese ich nun zu meiner stolzen Genugthuung in der Zeitung Ihre Ernennung zum Ritter des rothen Adler-Ordens (‒ mit Schwertern!!) und will nicht längera säumen, Ihnen mit meinem herzlichsten Glückwunsch zu dieser außerordentlichen Ehren-Bezeugung, zugleich einen freundlichen Gruß aus dem alten Jena zu senden! Hoffentlich wird der rothe Vogel Ihre politischen Ansichten nicht in röthlichem Sinne beeinflussen, sondern dazu beitragen, aus Ihnen, als deutschen Colonial-Helden, einen immer eifrigeren Bismarck-Verehrer zu entwickeln! ||

Ihre ausführlichen Mittheilungen, und was sonst in den Zeitungen über Ihre Heldenthaten als central-africanische Conquistadores zu lesen war, haben wir selbstverständlich mit größtem Interesse gelesen, und auch sonst Ihrer sehr oft freundlichst gedacht. Insbesondere an den zahlreichen schönen Sommer-Abenden, welche die Bewohner des zoologischen, physikalischen u. botanischen Instituts auf dem „Forst” und der „Schweizer Höhe” verlebten, haben wir vonb Ihnen oft lange gesprochen und auf Ihr Wohl getrunken.

Im Institute haben Sie mir ‒ als „der unübertreffliche Muster-Assistent” ‒ sehr gefehlt, besonders in der ersten Zeit, wo Ihr Nachfolger, Herr Trautsch, sich recht ungeschickt benahm. Als dann Ostern unser alter Freund Dr. A. Walter, eintrat, kamen wieder behaglichere Verhältnisse in Gang. Aber die Assistenten-Periode „Weissenborn” wird immer leuchtendes Vorbild bleiben! ||

‒ Ich hatte den Sommer außerordentlich viel zu thun, da Murray mich zwang, die Siphonophoren-Monographie (mit 50 Tafeln) bis Anfang August ‒ inclusive Correcturen! ‒ fertig zu machen. Da „der Bien mußte”, so ging es, und ich konnte Mitte August mit meiner Familie eine Erholungs-Reise nach Tyrol ganz sorgenfrei antreten.

Dann war ich noch mehrere Wochen in Berlin u. Potsdam bei Verwandten, und bin erst vorige Woche in das Jenaer Winter-Quartier zurückgekehrt. Zunächst muß ich nun einige Monate auf Ordnung der Sammlungen verwenden, und dann die neue Aufl. der „Natürlichen Schöpfungsgeschichte” neu bearbeiten.

‒ Prof. Lang hat die I. Hälfte seines Lehrbuchs fertig gedruckt, und ist mit der II. beschäftigt. Er war mit seiner Familie, der es gut geht, mehrere Monate in der Schweiz.

‒ Dr. Kükenthal ist mit der Bearbeitung seiner großen Cetaceen-Arbeit (für die Jenenser Denkschriften) beschäftigt; er ist sehr unternehmungslustig. || Heute langte ein Telegramm aus Bremen an, wonach Kükenthal und Walter Mittel erhalten, um nächsten Sommer im Eismeere (Grönland u. Spitzbergen) zuzubringen, hauptsächlich zu Untersuchungen über Robben, Walrosse u. Cetaceen. A. Walter wird bis dahin mit der Bearbeitung seiner Turkmenischen Reise-Beute wohl kaum fertig sein. In den ersten Monaten nach der Rückkehr litt er sehr an der central-asiatischen Malaria; jetzt hat es sich aber sehr gebessert.

‒ Der andere Walther (Johannes) geht für diesen Winter (in Begleitung u. auf Kosten eines reichen Elberfelder Industriellen, Rumpf) nach Indien! Ich wollte ich könnte mit! Er reist schon in 14 Tagen ab, zunächst nach Bombay.

‒ Jena kommt allmählich in den Ruf einer Geographischen Metropole, von der alljährlich so und so viel „Weltreisende” ausziehen; und das alles ohne Geld!! ‒ Unsre Geographische Gesellschaft freut sich schon auf Ihre Vorträge! ||

‒ In der medicin. Facultät sind jetzt 2 tüchtige neue Lehrkräfte eingetreten, Prof. Fürbringer (aus Amsterdam)c für Anatomie, und Prof. Biedermann (aus Prag) für Physiologie. Hertwig hat in Berlin eine sehr gute Stellung (als erster ordentlicher Professor der Entwicklungsgeschichte u. Morphologie, resp. der Phylogenie!) erhalten. Prof. Preyer hingegen mußte in Berlin als Privatdocent in die medicinische Facultät eintreten. Wir fürchten, daß es ihm dort nicht gut gehen wird. Der plötzliche Entschluß, seine hiesige feste Stellung als Ordinarius aufzugeben, wurde im Juli übereilt gefaßt (‒ „la femme”!)

‒ Sonst ist hier ziemlich Alles beim Alten.

‒ Meiner Familie geht es gut. Mein Sohn (‒ dessen Abscheu gegen Gedrucktes sich alljährlich steigerte ‒) ist Ostern aus Prima abgegangen, und wird Maler. Er ist zunächst auf der Kunstschule in Weimar, wo er sich recht gut macht; sein Talent u. Fleiß werden gelobt. || Meine Frau läßt sie herzlich grüßen, ebenso alle Bewohner des Zoologischen Instituts. Hoffentlich haben Sie sich von Ihrem Malaria-Anfall ganz erholt, und gehen mit frischen Kräften Ihren weiteren schönen Aufgaben entgegen. Ich beneide Sie oft um den Tropen-Aufenthalt, und wünschte, ich könnte mit Ihnen im Urwald umherkriechen!

Mit besten Wünschen

Ihr treuer

Ernst Haeckel

a eingef.: länger; beingef.: von; c eingef.: (aus Amsterdam)

 

Letter metadata

Verfasser
Datierung
07.11.1888
Entstehungsort
Entstehungsland
Zielort
Kamerun
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 32604
ID
32604