Dodel-Port, Arnold

Arnold Dodel-Port an Ernst Haeckel, Lugano, 24. Februar 1904

nahe beim Hôtel Berna und beim Bahnhof Lugano.

Lugano, Villa Monteverde, den 24. Febr. 1904

(Schweiz)

Herrn Prof. Dr. Ernst Haeckel zur Zeit im Hôtel Eden (Pension Germania) in Rapallo, Riviera Levante, Italia.

Mein lieber, hochverehrter Herr Professor & College!

Ich denke, Sie haben sich glücklich von dem Rummel Ihrer 70. Geburtstagsfeier (16. Februar 1904) erholt und – den unsterblichen Olympiern gleich – mit stillem Lächeln bald, mit fröhlichem lauten Lachen [sich] wieder Ihren Tagesarbeiten zugewendet. Es war doch ein Triumph für uns Alle, die hinter den Pionieren hermarschiren, zu sehen, wie Ihr 70. Geburtsfest gefeiert wurde, die Ideen marschiren & „la vérité est en route“ – trotz aller Ränke & Kniffe Ihrer Gegner. Wir haben die Jugend (nicht allein die Künstler-Jugend von München, sondern die Jugend der ganzen denkenden Welt) hinter uns: dessen sollen wir fröhlich sein & dankbar, dankbar vorwärts, nicht rückwärts, dankbar denen, die unsere Fäden weiter spinnen werden in die endlose Zukunft.

Das haben Sie doch in all den imposanten Kundgebungen erfahren können – und wir hier in Lugano haben in stillem trauten Kreis uns unsäglich gefreut über der [!] Freude, die Sie – hartgesottener Sturmbock – an diesem Ihrem Ehrentag erleben konnten. Denn Ihre Sache ist auch die unsere: la vérité est en route!

Anlaß zu diesen Zeilen gibt mir ein Briefchen von Prof. J.Römer in Kronstadt, Siebenbürgen, das mir diesen Morgen zugekommen ist. Römer ist Ihr Schüler & ein warmer, begeisterter Lehrer & Bekenner der Evolutionslehre. Er hat schon Manches in seinem Kreise gethan, um auch dort hinten, im Land der Pfaffen und Jesuiten, der Wahrheit im Erkennen auf die Beine zu helfen. Unendlich schwierig ist es dmn dort Isolierten, der schwarzen Bande die Stange zu halten. Immer und immer wieder – alleweil sind es die Sachwalter unserer christlichen Kirche, die uns als die unverbesserlichen Gegner mit ihrer fulminanten Dummheit und Rückwärtserei entgegenarbeiten. Die größten Pfaffen & Lichtfeinde finden wir nicht etwa in der katholischen Kirche, sondern vielmehr bei den petrificirten Nachfolgern Luthers & Zwinglis, die, umfluthet von einem Hauch des Himmelslichtes Vernunft, nicht den Muth und die Kraft in sich haben, der Unvernunft blankweg ihren Abschied zu geben, sondern mit dieser Unvernunft liebäugeln und buhlerisches Wesen treiben, als wär’s die Pallas Athene in höchsteigener göttlicher Person. Darüber wollen wir uns keine Illusionen machen: die Kirche wird alleweil der Block der Schwere gegen den freien Flügelschlag von Wissenschaft & Wahrheit sein. Die Pfaffen der Kirche werden immerfort jeden Anlaß mit Haaren herbeizerren, wo sie vermeinen, uns Eins versetzen zu können. So lange unser Planet Erde den Lichtpfad um die Sonne wandern wird: so lange wird die Faulheit & Dummheit der Widersacher von Vernunft & Wahrheit bleiben. Damit müssen wir uns abfinden; denn die Dummen u. Faulen werden niemals alle: sie sind fürchterlich fruchtbar – wie die Kaninchen (Künigelhasen) – trotz Coelibat. ||

Nun werde ich aber in dem Briefe von Prof. Römer überfragt. Er legt mir drei Fragen vor, die Sie unter a) b) & c.) in seinem Brief aufgezählt sehen. Sie betreffen – meiner Auffassung nach – Lapalien von untergeordneter Bedeutung. Die Clichés – von Jelio zu riesigen Dioramen aufgetackelt – sind doch längst erlediget. Die Angelegenheit Hamann haben Sie selbst in’s richtige Licht gestellt durch Ihre Darlegung „Der Ausgang des Prozesses Häckel-Hamann“ (mit Briefen Hamann’s an Häckel), über welche Affaire doch längst die Akten geschlossen sind. Darüber könnte ich also an Prof. Römer einige Beruhigungen abgeben. Dagegen bin ich nicht in der Lage, den Ausspruch Hensen’s über Häckels Zeichnungen zu werthen, weil ich Hensen nur aus einer älteren Publikation (Physiologie der Zeugung), nicht aber aus jüngeren Arbeiten kenne.

Da ich nun aber in dieser Sache einmal wieder angekrempelt worden bin, so halte ich es im Interesse der guten Sache für thunlich, an die beste Quelle zu gehen & Sie zu bitten, mit ein paar kurzen Worten das Passendste auf die 3 angezogenen Punkte selbst zu erwidern, selbst für den Fall, daß die schwarzen Gauner in Schafspelzen Ihnen ebenso zuwider sein sollten, wie mir. Seit Jahr und Tag, da ich wegen „Moses oder Darwin?“ von vielen Lumpenhunden angebellt & beschimpft worden bin, seit Jahr und Tag habe ich mich daran gewöhnt, mit fletschenden Zähnen angeschnarcht zu werden, ohne dabei meinen Humor zu verlieren. Ganz gelegentlich – nachdem ich mich endlich von der Professur in Zürich losgemacht habe – ganz gelegentlich werde ich mir schon die Zeit nehmen, den Einen und den Andern der Kleingeister & Kläffer beim Ohr zu nehmen & mit derben Prügeln zur Frömmigkeit zurückzubekehren. Den Dennert zu Godesberg a./Rhein muß ich wohl schon nochmals vornehmen: der Kerl schwatzt nur nicht mehr bloß wie ein altes Weib, sondern wie ein Verrückter. Und nun vergöttern ihn so viele, viele Betschwestern beiderlei Geschlechtes, Paranoiker & Hysteriker exquisitester Raçe. Wenns nicht gar so traurig wär’ – so müßte man lachen.

Das ist das Verdammte, das Mißliche an unserer Position, daß ein großer Theil unserer Zeit & Kraft zum Teufel gehen muß im Nörgelei-Krieg der Finsterlinge, der Spiritisten, Evangelisten, Okkultisten, Römlinge u. anderer -linge, von denen wir gar Nichts lernen können. Es ist wirklich zum Davonlaufen: der Dummen werden immer mehr und sie bleiben ewig wieder der Hemmschuh in unserer Entwicklung. Zoll für Zoll muß man der Weltmacht Dummheit das Terrain abgewinnen, um das Ganze etwas vom Fleck zu bringen. Man möchte auch wohl die Flinte ins Korn werfen u. sagen: „Die Welt will betrogen sein, drum werde sie betrogen“!

Aber – es sind unsere Kinder & Enkel, die Besseres von uns verlangen. Wir dürfen nicht müde werden.

Ich bitte Sie dringend, mir nicht zu zürnen, wenn ich Ihnen dies fleckige Papier angesichts des blauen Meeres unterbreite. Zwei, drei Worte als Antwort auf a.) b.) & c) in Römer’s Brief genügen. Das Uebrige will ich gerne besorgen.

Wenn Sie auf der Rückreise durch Lugano kommen sollten, so würden Sie uns beglücken, wenn wir Sie grüßen dürften. Ich fange nun wieder an, zu arbeiten – ein freier Mann auf freier Erde.

Mit herzlichen Grüßen, auch von meiner lieben Frau,

Ihr

A.Dodel.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
24.02.1904
Entstehungsort
Entstehungsland
Zielort
Jena
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 3258
ID
3258