Arnold Dodel-Port an Ernst Haeckel, Zürich, 28. Februar 1899
Villa Erica, Rigistrasse, Zürich IV.
28. Febr.1899.
Herrn Prof. Dr. Ernst Haeckel, Director des Zoologischen Institutes in Jena.
Hochgeehrtester Herr College!
Dafür, daß Sie mir die soeben erschienene erste Lieferung Ihrer „Kunstformen der Natur“ haben zusenden lassen, bin ich Ihnen zu großem Dank verpflichtet; denn der Anblick dieser herrlichen Blätter ist ein wahrer Hochgenuß u. dieser ist mir nun eher geworden, als ich erwartete. Mit dieser Publikation, die zweifellos guten Erfolg haben wird, befreiten Sie mich von einem lange empfundenen, fast peinlichen Gefühl des Unbehagens darüber, daß so zahllose Kunstformen voll entzückender Schönheit unbenützt liegen geblieben sind im Schooß der mikroskopischen Welt beider Organismen-Reiche, Kunstformen voll reizender Motive für Maler, Bildhauer, Architekten, Coulissenkünstler, Gobelin-Zeichner etca, wie sie nirgends schöner u. nirgends in solcher Fülle anzutreffen sind. Schon viele Jahre habe ich bei meinen mikroskopischen Demonstrationen an hiesiger Hochschule – bei jedem Anlaß darauf hingewiesen, daß da für Kunst und Kunstgewerbe ungeahnte Schätze noch unbeachtet liegen geblieben sind, indeß stetsfort noch der Mangel an Schönheit & Wahrheit sich auf den theuersten Porcellanen widerwärtig breit macht. (Ich erinnere an die Meissener Fabrikate mit ihrem elenden, barbarischen Zwiebel-Muster voll Lug & voll Häßlichkeit). Ich empfand dabei eine Art Verpflichtung, gelegentlich Etwas dieser Art zu schaffen, was einen Anfang hätte abgeben können zur Anbahnung vom Correkturen des Geschmackes in genannter Richtung. Nun kommt da Ihre herrliche Publikation & befreit mich von allem Unbehagen. Gerade unter Ihrer Aegide mußte ein solches Projekt Aussicht auf Gelingen bekommen. So gratulire ich denn mit warmem Herzen und wünsche, daß Ihr Unternehmen in fachmännischen Kunstkreisen, wie auch bei allen mit Schönheitssinn ausgestatteten Naturfreunden jene Aufnahme finden möge, die für die gelungene Durchführung des Ganzen eine ernste Bedingung sein wird. Der Preis für diese herrlichen Lieferungen ist geradezu ein beispiellos billiger. Jede Mittelschule wird in der Lage sein, diese paar wenigen Mark für die unvergleichlichen „Kunstformen“ opfern zu können. (Wenn nur die Schulmeister etwas mehr Schneid hätten!) – Das sage ich hier in Parenthese. – Es wär in vielen Dingen Manches besser, wenn diese armen Teufel nicht mit Absicht in der Beschränktheit ihrer prekären Bildung festgehalten würden. Aber die meisten dieser Halb- oder 3/8-Gebildeten merken das nicht, sondern moquiren sich noch über diejenigen, welche da Wandel schaffen möchten. So dumm ist der „große Haufen“!)
Mit allen guten Wünschen zum völligen Gelingen & mit den herzlichsten Grüßen
Ihr dankbar ergebener
A.Dodel.
(Ich habe die ganze Serie der „Kunstformen“ beim Buchhändler bestellt.)
a eingef.: etc