Ernst Haeckel an Oscar Schmidt, Jena, 18. Juli 1872

Jena 18 Juli 72

Lieber Freund!

Deine Mittheilungen über das Strasburger Chaos haben mich sehr amüsirt. Ich kann mir den heroischen Muth vorstellen, mit welchem Du Dich da herausarbeitest. Da wird sicher der Erfolg nicht fehlen und ich hoffe, daß Du in ein paar Semestern bedeutend zufriedener sein wirst, als gegenwärtig.

Durch Deinen Erich, dessen frisches und freies Wesen nebst seinem liebenswürdigen Witze hier sehr gefällt, und auch uns viel Spaß macht, habe ich oft von Dir gehört. Er hat bei mir sehr fleißig Ontogeniam et Phylogeniam Hominis gehört und ich hoffe, es soll ihm auch für seine Wissenschaft was nützen. ||

Von meiner Schöpfungsgeschichte ist kürzlich die III. Auflage erschienen. Ich habe in der Vorrede u. A. auch auf Deine Frage: „War Goethe ein Darwinianer“ geantwortet, und wollte Dir auch ein Exemplar schicken.

Du standest aber erst unter den Candidaten zweiter Reihe, weil die III. Auflage sonst nicht wesentlich von der II. verschieden ist, und ich zu viele Candidaten I. Reihe zu befriedigen hatte.

So waren alle Exemplare versandt, ehe ich Dich an Dich kam.

Da Du nun ohnehin nächstens mit dem dreibändigen, speciell für Dich bestimmten Spongien-Opus beglückt wirst, nimmst Du mir jenes Deficit nicht übel. ||

Vor October wirst Du das Schwamm-Buch nicht erhalten, weil der Druck des I (allgemeinen) Theils erst kürzlich begonnen hat. Der II (spec.) Theil und der III Band (Atlas) sind nahezu fertig. Du wirst, denke ich, eine große a Freude an den Untersuchungen haben, die sich schließlich wundervoll abgerundet b haben und auch auf die Kieseln und Hornschwämme viel Licht werfen.

Ich gehe am 30 Juli von hier mit unserem Universitäts-Deputisten (Gegenbaur) zum Jubiläum nach München, dann auf einige Zeit ins Gebirge. Einen großen Theil der Ferien werde ich noch hier arbeiten. ||

In Leipzig sollte ich zur Naturforscher-Versammlung eine Rede halten. Ich habe aber abgelehnt, um mich nicht zu sehr zu ärgern. Da die „Physiko-Physiologen“ Ludwig und Leuckart dabei eine Hauptrolle spielen, wird die Morphologie möglichst reactionaer und die Hauptströmung jedenfalls Anti-Darwin sein. Ich gehe deßhalb gar nicht hin.

In Helgoland empfehle ich Dir eine sehr passende Wohnung bei meiner alten Freundin Claus Stolt Wittwe. Grüße sie bestens. Nimm Frey und Leuckart mit. Gehe bei Spring-Ebbe um die Insel und hebe viel Steine auf. Fahre womöglich mit auf den Austern-Fang. – Vor 14 Tagen war Jelinek hier, um einen letzten Versuch mit mir für Wien zu machen! Aber vergeblich!

Mit freundlichen Grüßen

Dein

Haeckel

a gestr.: xxx; b gestr.: xxx

Brief Metadaten

ID
32478
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
18.07.1872
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
13,8 x 21,7 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 32478
Zitiervorlage
Haeckel, Ernst an Schmidt, Oskar; Jena; 18.07.1872; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_32478