Jena 18 Januar 71
Lieber Freund!
Meine Berufung nach Wien an Kner’s Stelle ist kürzlich hier eingetroffen und hat, wie Sie denken können, mir gehörige Unruhe gemacht. Handelt es sich doch für mich offenbar um einen entscheidenen Wendepunkt meiner Laufbahn und meines ganzen Lebens. Die freundschaftliche und rücksichtslose Offenheit, mit der Sie selbst sich über die in Aussicht stehende Berufung in Ihrem letzten Briefe gegen mich aussprachen, giebt mir doppelte Veranlassung, Ihnen auch meine Ansichten darüber, wie sie sich jetzt schon einigermaßen geklärt haben, mitzutheilen, und Sie zugleich um Beantwortung einiger Fragen zu bitten. ||
In den ersten Tagen nach der eingetroffenen Berufung war ich ziemlich entschlossen, den Ruf anzunehmen, falls auf meine Wünsche eingegangen würde.
Der große Wirkungskreis, die reichen Hilfsmittel, die Nähe von Triest und von den Alpen, diese und andere naheliegende Vorzüge der Wiener Stellung schienen mir sehr verlockend. Ich schrieb also an Hrn v. Stremayr, daß ich die Stelle wahrscheinlich annehmen würde, wenn nur meine Bedingungen ( – Zoologisches Institut, Selbstständige Direction des Zoologischen Museums, – nicht unter 6000 fl Gehalt) erfüllt würden; jedoch behielte ich mir auf alle Fälle die Entscheidung vor. ||
Antwort hierauf habe ich noch nicht erhalten. Inzwischen hat aber die hiesige Regierung Alles Mögliche gethan, um mich hier zu halten; mein Gehalt verdoppelt (von 600 auf 1200 rt) den Etat des zoologischen Instituts erhöht, Urlaub für Reisen (nach gewohnter liberaler Weise) in Aussicht gestellt etc. Perenissimus hat sogar aus Versailles telegraphirt, man solle Alles thun, um mich zu halten. Nun ist – abgesehen von der geringen Zuhörer-Zahl – meine hiesige Stellung wirklich höchst angenehm, der Umgang mit Gegenbaur und Strasburger, die Einrichtung meines neuen Instituts, meine für niedere Thiere sehr reiche Sammlung – mir höchst werthvoll. Alles das würde ich nur sehr ungern aufgeben. Was finde ich dafür in Wien? ||
Bei der bekannten Qualität der Wiener Studenten glaube ich fast, daß ich an 50 Jenenser Zuhörern mehr Freude habe als an 200 Wienern.
– Bevor ich mich entscheide, möchte ich gerne von Ihnen Einiges über die Wiener Universitäts-Sammlung, die ich zu dirigiren haben würde, wissen. Und wie verhält es sich mit Schmarda? Wie ist die Direction des kaiserlich großen Naturalien Cabinets in Bezug auf Überlassung von Material? Halten Sie 6000 fl Gehalt für ausreichend? Ich bin seit 8 Tagen Vater eines Töchterchens geworden!
Das Familien-Leben in Wien soll theuer sein! Bitte, lieber Freund, geben Sie mir bald Antwort, und theilen Sie mir mit, was Sie sonst noch der Erwägung werth halten.
In aufrichtiger Freundschaft
Ihr
Haeckel