Ernst Haeckel an Hermann Allmers, Jena, 20. November 1868
Jena 20 November 68.
Liebster Freund!
Wenn jemals Dein dichterischer Genius in prophetischer Ahnung die rechte Stunde am rechten Ort getroffen hat, so war dies sicher gestern hier bei uns der Fall.
Denn Deine reizende „Weihe“ zur Taufe meines Jungen, durch welche Du uns eine außerordentliche Freude bereitet hast, traf grade gestern Morgen hier ein, als wir eben mit den Vorbereitungen zu der Mittags statt findenden Taufe beschäftigt waren. Ich hielt die Überraschung bis Mittag geheim, und als wir nach vollbrachter Taufe beim heiteren Mittagessen gemüthlich beisammen saßen, hielt ich eine kleine Standrede und schloß damit: „Was Alles von diesem lieben süßen Jungen zu erwarten ist, || beweißt am besten der Umstand, daß er schon in der Wiege von einem berühmten Dichter besungen wird!“
Nun las ich Deine „Weihe“ vor, ohne den Autor zu nennen. Die letzten 10 Zeilen konnte ich jedoch vor übergroßer Rührung nicht mehr ordentlich lesen, da ein heißer Thränenstrom dem Übermaß von Gefühlen, die mich an diesem Tage bewegten, Bahn brach. Dein Gedicht fand bei allen Gästen den ungemeinen Beifall, den es verdient, und Agnes und Gegenbaur erriethen sogleich, daß es von Dir komme. Habe tausend Dank dafür, Du liebster bester Freund. Du hast mir damit wirklich eine rechte Herzensfreude bereitet, und meinem Jungen soll das Gedicht auf seinem Lebenswege, so wie Du es wünscht, ein Leitstern sein! ||
Mein Junge, der gestern in der Taufe die Namen Walter Emil Karl Ernst empfangen hat, ist übrigens allerliebst und wird sich hoffentlich der hohen Ehre, die Du ihm schon so früh erzeigt hast, würdig zeigen. Seine großen dunkelblauen Augen und der feine kleine Mund sind bei ihm beständig in Bewegung. Anwesend waren bei der Taufe und dem folgenden Mittagessen 10 Gäste, nämlich Gegenbaur und meine Schwiegermutter (die beiden einzigen anwesenden Pathen), meine beiden Schwägerinnen, die alten Frommanns, Hildebrands, Schultze, und der alte würdige Klopfleisch, welcher taufte. Eigentlich sollte die Taufe schon vorigen Sonnabend sein. Aber Unwohlsein von Agnes verzögerte sie um ein paar Tage, und so konnte sie erst gestern sein, wo Dein lieber Gruß grade zur rechten Zeit und Stunde eintraf. ||
Agnes ist jetzt wieder ganz munter. In unserm Hauswesen steht eine große Veränderung bevor, da wir leider unsere alte treue Bertha entlassen müssen. Sie ist eigentlich in jeder Beziehung ausgezeichnet, hat aber die Schrulle, nicht neben dem Kindermädchen dienen zu wollen, mit dem sie sich gar nicht verträgt. Wir haben dies schon vorher gefürchtet. Sie ist durch die selbstständige Stellung, die sie als Haushälterin a bei mir 4 Jahre hatte, zu sehr verwöhnt und wird überhaupt nicht mehr als Dienstmädchen, sondern nur als Haushälterin (und zugleich Köchin) dienen können.
Solltest Du zufällig von einer derartigen für sie passenden Stelle hören, so denke an mich; ich möchte sie gern gut unterbringen, da sie sonst so vortrefflich, brav und ehrlichst ist. – Meine Frau grüßt und dankt Dir herzlichst! Von mir selbst nochmals den innigsten Gruß und Dank.
Wie immer, dein treuer Haeckel
a gestr.: hatte