Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Wilhelm von Waldeyer-Hartz, Jena, 21. März 1917

Jena 21. März 1917

Verehrter Herr College

Für den freundlichen telegraphischen Glückwunsch, den Sie mir am 7. März zu meinem 60jährigen Doktor-Jubiläum sandten, sage ich Ihnen meinen herzlichen Dank; nicht minder für den interessanten Brief, den Sie mir Ende Februar zuschickten, mit den Rückblicken auf Ihre anatomische Laufbahn und den allgemeinen Betrachtungen über unsere morphologischen Ziele und Wege. Besonders gefreut hat es mich, daß auch Sie mit der größten Verehrung unsers unsterblichen Meisters Johannes Müller| gedenken, den ich als sein letzter Schüler und wärmster persönlicher Verehrer vor 59 Jahren mit zu Grabe getragen habe, während Sie nur durch seinen Schüler, Ihren ausgezeichneten Lehrer Henle indirekt mit ihm in Verbindung standen.||

Da Sie nunmehr in 8 Tagen, nach glücklich zurückgelegtem 80sten Lebensjahr, aus Ihrer ruhmvoll geführten akademischen Stellung und Ihrem großartigen anatomischen Institute ausscheiden, kann ich Ihnen nur noch den herzlichen Wunsch ausdrücken, daß Sie Ihr wohlverdientes „ Otium cum dignitate“ noch manches schöne Jahr in voller geistiger und körperlicher Frische voll genießen mögen. Zunächst dürfen wir ja jetzt hoffen, daß im Laufe der nächsten Monate endlich der allseits ersehnte „Deutsche Friede“ zu Stande kommt und dem wahnsinnigen Menschenmorden der | (– christlichen! –) Kulturvölker ein Ende bereitet. Wie friedlich dieser Friede aussehen soll, und wie die überall (- auch in der Wissenschaft -) zerstörten Verbindungsbrücken der Nationen wieder hergestellt werden sollen, ist ein Räthsel!||

Beim Rückblick auf die erstaunlichen Veränderungen und Fortschritte, welche die Wissenschaft, und überhaupt die ganze Kultur im Laufe der letzten 60 Jahre durchgemacht hat, dürfen wir beide uns wohl glücklich preisen, diese interessanteste Epoche der Weltgeschichte nicht nur als Zuschauer erlebt, sondern auch als aktive Mitarbeiter unsern Anteil gefördert zu haben. Ihre „Neuronen“ werden dabei besonders befriedigt sein können! Mit herzlichen Grüßen und mit wiederholtem aufrichtigen Danke

Ihr ergebenster

Ernst Haeckel.

 

Letter metadata

Verfasser
Datierung
21.03.1917
Entstehungsort
Entstehungsland
Zielort
Berlin
Besitzende Institution
Staatsbibliothek Berlin PK, Handschriftenabteilung
Signatur
NL Waldeyer-Hartz: Haeckel, Ernst
ID
32015