Ernst Haeckel an Albert Niess, Jena, 12. Dezember 1884
Jena, 12. Dec 84.
Lieber Herr Niess!
Sie haben sich uns durch die freundliche Zusendung Ihrer interessanten Photographie als historischer Schützenkönig, und den Kindern noch speziell durch die süße Pfefferkuchensendung in so freundliche Erinnerung gebracht, daß ich nicht länger zögern will, Ihnen unseren herzlichsten Dank zu sagen, besonders auch für die freundlichen Mittheilungen aus Ihrem Leben! || Von mir kann ich Ihnen Nichts besonders Interessantes mittheilen. Ich vergrabe mich jedes Jahr mehr in zoologische Special-Arbeiten und werde wohl kaum mehr dazu kommen, etwas Werthvolles in der allgemeinen und populären Naturwissenschaft zu leisten. Was ich mit meinen schwachen Kräften erreichen konnte, a glaube ich auch in der Hauptsache erreicht zu haben, und ganz umsonst sind meine darwinistischen Kämpfe nicht gewesen. ||
In diesem Jahre habe ich viel Zeit mit der Einrichtung des neuen Zoologischen Institutes verloren. Es freut mich, daß ich diesen Lebenswunsch noch hier verwirklicht habe. Da ich nun längst entschlossen bin, hier zu bleiben, ziehe ich mich immer mehr in meine stille Klause zurück. Da meine Frau viel kränklich ist, leben wir sehr still. Im August brauchte sie Bad Nauheim, welches ihr Leiden etwas gebessert hat. Die Kinder sind meist munter. ||
Meinen Sohn, der auf dem hiesigen Gymnasium gar nicht vorwärts kommen konnte, habe ich seit Herbst 1883 auf das Real-Gymnasium in Gera (zu einem Lehrer in Pension) gethan; es geht dort bedeutend besser. Ich hoffe, er wird ein tüchtiger praktischer Arbeiter werden (vielleicht Architekt); für Wissenschaft hat er wenig Sinn; meine ältere Tochter hat mehr davon. Sie sehen, es geht mir wie Ihnen, und mit jedem Jahre streife ich mehr von meinen idealistischen Illusionen und Hoffnungen ab! –
Mit wiederholtem herzlichen Dank und besten Wünschen für das neue Jahr
Ihr freundschaftlich ergebener
E. Haeckel
a gestr.: hab