Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Marie Luise Nebuschka, Jena, 3. März 1919 [Abschrift]

Jena 3.3.1919.

Liebes und sehr verehrtes Fräulein!

Durch Ihre freundlichen Glückwünsche zu meinem 85. Geburtstage haben Sie mich am 16.2. sehr erfreut, und ganz besonders durch das prächtig gestickte seidene Buchzeichen, welches die zarten Formen und Farben meiner Lieblings-Meduse (Annasethe), und zugleich die Erinnerung an die roten Korallen von Sizilien (1859) wunderschön wiedergiebt.

Ich sage Ihnen für Beides meinen herzlichsten Dank! Zugleich muß ich aber mein Bedauern ausdrücken, daß Sie an diese mühsame Arbeit in meinem Interesse so viel Zeit und Geduld verwendet haben! Ich möchte mich gern dafür durch eine Gegengabe dankbar zeigen, weiß aber nicht, was Ihnen willkommen sein würde. Wenn ein Buch oder ein Bild von mir erwünscht ist, bitte ich nur Ihre Wünsche freimütig zu äußern.

Ganz besonders danke ich Ihnen für Ihre wiederholt geäußerte Bereitwilligkeit, eventuell nach Jena überzusiedeln und mein einsames Emeriten-Dasein durch Ihre liebenswürdige Gesellschaft zu verschönen. Wenn dieses Opfer aber schon früher (aus den im vorigen Jahre mitgeteilten Gründen) dankend abgelehnt werden mußte, so ist das jetzt noch viel mehr der Fall. Meine Gesundheit und Arbeitskraft hat sich im letzten halben Jahr so verschlechtert, daß ich nur noch auf wenige Monate (– oder Wochen? –) für meinen kurzen Lebensrest rechnen kann. Ich bedauere jetzt, daß mein Wunsch, schon im letzten Herbst von diesem leidvollen und unerfreulichen Dasein erlöst zu werden, nicht schon in Erfüllung gegangen ist; be-||sonders im Hinblick auf die trostlose Zukunft Deutschlands.

Meine äußere Lage hat sich im letzten halben Jahr wesentlich geändert. Am 1. August ist meine Villa in den Besitz der Carl-Zeiss-Stiftung übergegangen, welche dieselbe der Universität zum Geschenk machen will, behufs Umwandlung in ein „Haeckel-Museum“. Dieses soll meine ganzen literarischen und Kunstsammlungen aufnehmen, soweit ich sie nicht schon früher der Universität geschenkt habe. Es ist aber jetzt ganz zweifelhaft geworden, ob dieses schöne Projekt verwirklicht wird. Die totale Umwälzung, welche die deutsche November-Revolution in allen Verhältnissen zur Folge gehabt, hat auch hier zerstörend gewirkt und sogar die weitere Existenz der Universität in Frage gestellt. Ich selbst sehe die Zukunft ganz pessimistisch an und glaube nicht, daß unser zertretenes deutsches Vaterland sich je wieder von seinem entsetzlichen Zusammenbruch erholen wird.

Mit aufrichtigem Bedauern ersehe ich aus Ihren vertraulichen Mitteilungen, daß Ihr schöner Künstler-Beruf, der Ihnen früher so viel Glück und Freude gebracht hat, Sie nicht mehr befriedigt. Ich sollte aber denken, daß gerade jetzt, wo der hohe Wert der Frauen-Arbeit in den verschiedensten Gebieten so anerkannt wird, und die Frauen auch in der Politik freie Bahn haben, eine passende Stellung sich bieten müßte. –

Leider kann ich Ihnen, bei meinem abgeschlossenen Emeritenleben und meiner bedauerlichen Unkenntnis des praktischen Lebens, keine bestimmten Vorschläge machen. Da ich infolge zunehmender Lähmung meines kranken Beines nicht mehr gehen kann und den ganzen Winter nicht aus der Stube gekommen bin, stehe ich auch || dem öffentlichen Leben seit langer Zeit ganz fern.

Mit den besten Wünschen für eine glückliche Zukunft und mit wiederholtem herzlichstem Danke

Ihr ergebener

Ernst Haeckel.

 

Letter metadata

Gattung
Verfasser
Datierung
03.03.1919
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
Unbekannt
ID
31813