Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Marie Luise Nebuschka, Jena, 22. Februar 1917

Fräulein Lissi Nebuschka

Dresden-Klotzsche, Bahnhof Str. 8.

Jena 22.2.1917.

Hochgeehrtes Fräulein!

Durch Ihren freundlichen Glückwunsch zu meinen 83.sten Geburtstag und das begleitende schöne Geschenk haben Sie mich am 16.2. sehr erfreut; ich sage Ihnen dafür meinen besten Dank! Die geschmackvolle Schreibmappe, von Ihrer Künstlerhand selbst gestickt, ist mir sehr willkommen und wird auf meinem Arbeitstisch mich stets an das warme Interesse erinnern, welches Sie meiner literarischen Lebensarbeit, und besonders unserer monistischen Philosophie und Anthropogenie widmen. ||

Als bescheidene Gegengabe sende ich Ihnen beifolgend meine „Monistischen Bausteine“; im Inhalts-Verzeichnis beider Teile habe ich die Aufsätze, die Sie vielleicht besonders interessieren, durch einen Strich / markiert.

Zugleich schicke ich Ihnen leihweise (– aus der Bibliothek des Phyletischen Archivs –) die letzte Auflage (1909) meiner „Natürlichen Schöpfungsgeschichte“ mit, von der jedoch der grösste Teil zu speziell biologisch ist, um damit Ihre kostbare Zeit und Bemühung in Anspruch zu nehmen. Da Sie die „Welträtsel“ und „Lebenswunder“ bereits kennen, werden Sie wenig Neues im Allgemeinen Teil finden. Sie können das Buch übrigens längere Zeit behalten. ||

Wenn der wahnsinnige, alle Kultur zerstörende Weltkrieg bald – wie wir hoffen! – für uns siegreich enden wird, würde mich Ihr Besuch in Jena sehr erfreuen und mir Gelegenheit geben, die von Ihnen gewünschten Aufschlüsse über schwierigere Probleme der monistischen Weltanschauung zu erteilen. Gegenwärtig würde dieser Besuch nicht anzuraten sein, wegen der schwierigen Verkehrs- und Ernährungs-Verhältnisse.

Jena gehört zu den Städten, die jetzt besonders den Mangel an Kohlen und Nahrungsmitteln schmerzlich empfinden. Schulen und Theater sind geschlossen. Dabei nimmt die Teuerung beängstigend zu; tägliche erhalte ich Gesuche um Unterstützung, die ich zu meinem Bedauern nicht befriedigen kann. Die nächst liegenden Familien Bedürfnisse sind kaum genügend zu erledigen. ||

Mein Sohn, der Maler in München ist (48 Jahre alt) drei Kinder hat unda trotz fleissiger Arbeit fast Nichts verdient, schreibt mir, dass auch dort in Künstler-Kreisen die Not besonders gross ist. Schauspieler, Bildhauer, Maler u. s. w. leiden vielfach bitteren Mangel.

Hoffentlich wird es bald besser; besonders wünsche ich Ihnen, dass Sie bald ein befriedigendes, Ihren künstlerischen Talenten entsprechendes Engagement finden!

Mit herzlichen Grüssen

Ihr ergebener

Ernst Haeckel.

a eingef.: hat und

 

Letter metadata

Verfasser
Datierung
22.02.1917
Entstehungsort
Entstehungsland
Zielort
Dresden
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 31804
ID
31804