Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Carl Riess, Jena, 16. Dezember 1918

Jena, 16.12.18.

Lieber Herr Riess!

Ihre Anfrage betreffend das Studium Ihres jungen Freundes, der im Kriege beide Beine verloren hat, ist schwer zu beantworten. Da derselbe Ingenieur werden wollte, also Physik und Mathematik gut kennen muss und auf sitzende Lebensweise beschränkt sein wird, würde sich vielleicht eine Anfrage bei dera „Berliner Astronomischen Rechenschule“ in Dahlem (bei Berlin) empfehlen. Direktor ist Dr.b Fritz Cohn. Unser Freund Professor Knopf (der selbst mehrere Jahre dort studierte) hat sie mir empfohlen. –

Ihren Wunsch, einen Beitrag für Ihre vortrefflichen Monistischen Monatsblätter (Hamburg) zu liefern, hätte ich längst gern erfüllen wollen (zumal der Streit mit dem Pseudo-Monisten Arthur Drews (Karlsruhe) eine scharfe Klarstellung erfordert. (Drews und Schnechenc die confusen Schulen von Eduard v.d Hartmann, sind Freunde des „Uebernatürlichen“ und gefährliche Gegner unseres „Naturalisten-Monismus). Aber ich kann leider überhaupt Nichtse mehr arbeiten! Die „Kristallseelen“ (1917) sind meine letzte Arbeit gewesen. Die neue (16.) Auflage des „Monismus“ – Altenburger Rede 1892 bringt in dem kurzen Nachwort („Genetica“) auch nichts wesentlich Neues. Meine Arbeitskraft ist erloschen und das entsetzliche politische Chaos, welches die „Deutsche Republik“ geschaffen hat, nimmt allen Lebensmut; obgleich viel alter Schutt und Zopf durch die November-Revolution beseitigtf (vor allem die Tyrannei der Kirche in Staat und Schule, auch die verhängnisvolle Kleinstaaterei!!).

Ich hoffe, bald die letzte Reise anzutreten, in die „Nirwana“! –

Mit herzlichen Grüssen Ihr alter invalider

gez. Ernst Haeckel

a korr. aus: den; b egh. eingef.: Dr.; c korr. aus: Schuchen; d egh. eingef.: v.; e korr. aus: nichts; f korr. aus: beiseitegt

 

Letter metadata

Gattung
Verfasser
Empfänger
Datierung
16.12.1918
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
Privatbesitz
ID
31797