Ernst Haeckel an Herman George Scheffauer, Jena, 6. Januar 1917
Jena 6. Januar 1917
Herrn Herman Scheffauer
Berlin-Friedenau
Taunus-Str. 13.
Lieber Herr Scheffauer!
Ihren Plan, eine erstklassige Wochenschrift in Englischer Sprache herauszugeben, welche das Geistesband zwischen America und den grossen Europäischen Kultur-Nationen enger knüpfen und vermittelnd zwischen den hohen Kultur-Interessen beider Erdhälften wirken soll, halte ich für höchst zeitgemäss und wünsche demselben von ganzem Herzen den besten Erfolg!
Es ist gewiss, dass ein grosser Teil des entsetzlichen Unheils, welches der beispiellose Weltkrieg über unsere höhere Kultur seit 2½ Jahren verhängt hat, der unvollständigen Kenntniss der internationalen Beziehungen einerseits, und den berechtigen a nationalen Ansprüchen andererseits entspringt, – sowie den höchst bedauerlichen Missverständnissen der entgegengesetzten Anschauungen. Die höchsten Ziele der menschlichen Geistes-Arbeit in Kunst und Wissenschaft, in Literatur und Gesellschaftsleben, müssen naturgemäss in Europa und in America dieselben sein; –insbesondere müssen diese allgemeinen humanen Bestrebungen in den beiden führenden Germanischen Nationen, die sich jetzt leider als Todfeinde zu vernichten suchen – in Deutschland und England, dieselben bleiben. Denn der stammverwandte Germanische Genius in dem teutosächsischen Gebiete diesseits, und in dem angelsächsischen Gebiete jenseits des Aermel-Kanals (– dort mehr idealistisch, hier mehr realistisch gerichtet –) ergänzen sich gegenseitig und finden in Nordamerica eigentlich ihr natürliches Verbindungsmittel.
Was nun meine, von Ihnen gewünschte Mitarbeit an Ihrer neuen Wochenschrift betrifft, so bin ich natürlich – eingedenk || unserer wertvollen freundschaftlichen Beziehungen – sehr gern bereit, bei Gelegenheit Ihnen einen kleinen Beitrag dafür zu liefern. Aber ein bestimmtes Versprechen dafür kann ich Ihnen zu meinem Bedauern nicht geben. In wenigen Wochen werde ich mein 83.stes Lebensjahr beschliessen; meine Gesundheit und Arbeitskraft nehmen beständig ab. Dazu bin ich durch eine übermässig ausgedehnte Korrespondenz und durch b die schweren Verluste und Sorgen des Weltkrieges so stark in Anspruch genommen, dass ich überhaupt nur sehr schwer zu eigener Arbeit kommen kann. Wenn Sie aber aus meinen früheren Schriften, insbesondere aus meinen letzten Ihnen übersandten Broschüren: der „ Gott-Natur“ (Goethe) 1914 – und der „ Ewigkeit“ (Weltkriegsgedanken, 1915) Einiges entnehmen und in Englischer Übersetzung mitteilen oder besprechen wollen, so steht Ihnen natürlich Alles gern und unentgeltlich zur Verfügung. Von den „ Welträtseln“ (1899) ist jetzt die 330. Auflage ( à 1000) erschienen, sowie 25 verschiedene Übersetzungen . – –
Die letzten 14 Tage war ich in Leipzig bei meinen Kindern, wo meine Tochter Lisbeth (Frau von Dr. Hans Meyer) ihre Silberne Hochzeit feierte und gleichzeitig deren älteste Tochter Else (22 Jahre, Ihnen bekannt ) ihre Grüne Hochzeit, mit einem Ingenieur und Flieger-Leutnant Rudolf Hautzsch ( 26 Jahre) –
– Mit herzlichen Grüssen und besten Wünschen für Anno 1917 (das hoffentlich bald Frieden bringt! ) Ihr treu ergebener
Ernst Haeckel.
a gestr.: entsprechen; b gestr.: ein