Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Wilhelmine Hintze, Jena, 27. Februar 1913

Jena 27.2.1913.

Liebe und hochverehrte Freundin!

Verzeihen Sie, daß ich Ihnen erst heute meinen herzlichen Dank für Ihren lieben Brief zum 16.2. und für die Sendung des schönen Baumkuchens abstatte. Aber ich war die letzten Wochen so mit dringlichen Arbeiten überlastet, daß ich in Beantwortung der zahlreichen (über 300) Geburtstags-Sendungen mich meistens auf dieses gedruckte Bulletin beschränken mußte.

Ihnen wollte ich doch gern einige besondere Zeilen senden. Zudem werde ich ja nun bald die Freude haben, Sie als Jenenserin hier einziehen zu sehen u. dann öfter zu sprechen. Seit Neujahr ist meine arme Frau wieder krank, durch eine schwere Influenza an das Bett gebannt; erst seit gestern geht es etwas besser. Ich bin auch bei dem wechselnden Winter-Wetter seit Neujahr nichts aus dem Hause gekommen u. leide viel an rheumatischen Gelenkschmerzen. Also bald:

Auf frohes Wiedersehen in Jena! Treulichst Ihr alter

Ernst Haeckel. ||

[gedrucktes Rundschreiben:]

Beim Eintritt in das achtzigste Lebensjahr bin ich am 16. Februar d.J. durch eine große Zahl von Glückwünschen und Geschenken erfreut worden. Da ich zu meinem Bedauern außer Stande bin, Ihnen Allen meinen herzlichen Dank einzeln auszusprechen, muß ich Sie bitten, ihn in diesen Zeilen entgegen zu nehmen.

Auf viele freundliche Anfragen, betreffend meinen jetzigen Gesundheitszustand, kann ich antworten, daß das Allgemeinbefinden im Ganzen befriedigend ist. Nur sind leider die schlimmen Folgen des Hüftgelenkbruches, den ich durch einen schweren Unfall vor fast zwei Jahren erlitt, nicht mehr zu beseitigen. Der dadurch bedingte Mangel an freier Ortsbewegung schließt nicht nur alles Wandern und Reisen aus, sondern beschränkt mich auch vielfach in Arbeit und in Naturgenuß.

Ersatz für diese schmerzlichen Mängel finde ich in dem reichen Schatze von Erinnerungen, welchen ich meinen zahlreichen früheren Reisen verdanke, sowie meiner lebendigen Teilnahme an den erstaunlichen Fortschritten der Wissenschaft im letzten halben Jahrhundert. Daß es mir vergönnt war, an diesen mich aktiv zu beteiligen, und namentlich durch Förderung der Entwickelungslehre einen festen Grund für den naturalistischen Monismus zu gewinnen, betrachte ich dankbar als || ein besonderes Glück in meinem vielbewegten und kampfreichen Leben. Den vielen trefflichen Freunden und wackeren Gesinnungsgenossen, welche mich beim Aufbau dieser monistischen Naturphilosophie seit mehr als fünfzig Jahren treulichst und wirksam unterstützt haben, gebührt bei dieser Gelegenheit noch mein besonderer Dank!

JENA, 20. Februar 1913.

ERNST HAECKEL.

[egh. Zusatz:]

Frau

Wilhelmine Hintze

(Wellingsbüttel bei Hamburg)

Herzlichsten Dank und Gruss

Ernst Haeckel.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
27.02.1913
Entstehungsort
Entstehungsland
Zielort
Wellingsbüttel
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 31708
ID
31708