Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Wilhelmine Hintze, Jena, 25. September 1910

Jena 25.9.1910.

Liebe und verehrte Freundin!

Die guten Nachrichten von Ihrem Befinden, und besonders von der Zufriedenheit mit Ihrer neuen, idyllischen Heimat Wellingsbüttel, haben mich sehr erfreut. Da ich Ihren „Naturalismus“ sowohl in ästhetischer als ethischer Hinsicht teile, begreife ich, daß Ihnen der stille Verkehr mit der unendlich reichen und schönen Natur auch jetzt nach dem schweren Verlust Ihres lieben Mannes volle Befriedigung gewährt. ||

Vor 8Tagen bin ich von einer 4wöchentlichen Erholungsreise zurückgekehrt, die mich sehr erfrischt und angeregt hat.

Am 21.8. reiste ich über Franzensbad (wo ich meinen alten treuen Freund Dr. Rottenburg besuchte), nach Salzburg; auf der neuen Tauernbahn über Gastein nach Wochein (Krain), war dann 4Tage in Venedig und 6Tage in San Martino di Castrozza, wo ich die herrlichen Pala-Dolomiten glühen sah, dann über Bozen, Kufstein, München zurück. || Trotzdem das Wetter sehr wechselnd war, habe ich doch die Alpen-Natur (und in Venedig die Adria) sehr genossen und 20 Aquarell Skizzen heimgebracht.

Nun geht es wieder in das stille Winter-Quartier der Villa Medusa und an die Arbeit der Lebens-Erinnerungen.

Meine arme Frau, die den ganzen Sommer sehr leidend war, hat sich in der vollen häuslichen Ruhe während meiner Abwesenheit sehr erholt und befindet sich jetzt leidlich.

Mit herzlichen Grüßen

treulichst

Ihr alter

Ernst Haeckel. ||

P.S. Die neue „Erkenntnis-Theorie“ des Hamburger Arztes Max von der Porten („Entstehung von Empfindung und Bewusstsein“) – Leipzig 1910 – (Prof. Unna zum 60. Geburtstag gewidmet) ist sehr interessant und ergänzt viele meiner früheren Versuche (in Anlehnung an Semon’s „Mneme“.

[gedrucktes Rundschreiben:]

Phyletisches Museum in Jena.

Zahlreiche Anfragen, betreffend den Besuch des neuen Phyletischen Museums in Jena, veranlassen mich zu folgender Mitteilung. Das Gebäude des Museums (Neugasse 22), welches innerhalb Jahresfrist fertig gestellt wurde, ist zwar am 30 Juli 1908 der Universität Jena – bei Gelegenheit ihrer 350jährigen Jubelfeier – als Eigentum übergeben worden; es ist aber noch so feucht, dass die innere Ausstattung und das Einräumen der wertvollen Sammlungen erst im nächsten Frühjahr beginnen kann. Voraussichtlich wird diese umfangreiche Arbeit noch das ganze nächste Jahr in Anspruch nehmen, so dass die Oeffnung der Schausammlungen für das Publikum erst im Frühjahr 1910 stattfinden kann.

Die Geldmittel für den Bau und die Ausstattung des Museums sind lediglich durch freiwillige Beiträge meiner Schüler und Freunde, sowie durch hochherzige Gaben von begüterten Anhängern der Entwickelungslehre gesammelt worden. Weitere Gaben dafür nimmt dauernd das „Rentamt der Universität Jena“ entgegen, das darüber zu quittieren amtlich ermächtigt ist. Von den Erträgen dieser fortgesetzten Sammlung wird es abhängen, ob dieses „Erste Museum für Entwickelungslehre“ in vollem Maße das hohe Ziel erreichen wird, welches mir bei seiner Gründung im Beginne des Jahres 1907 vor Augen stand, die Schaffung einer öffentlichen Bildungsstätte für wahre Natur-Erkenntnis, eines Tempels für den Kultus des Wahren, Guten und Schönen.

JENA, 18. August 1908.

ERNST HAECKEL.

 

Letter metadata

Verfasser
Datierung
25.09.1910
Entstehungsort
Entstehungsland
Zielort
Wellingsbüttel
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 31689
ID
31689