Ernst Haeckel an Wilhelmine Hintze, Jena, 28. Februar 1909

Jena 28. Februar 1909.

Liebe und hochverehrte Freundin!

Zürnen Sie mir nicht, daß ich erst heute dazu komme, Ihnen für Ihre lieben, mich sehr interessirenden Briefe und für Ihre freundlichen Liebesgaben (köstliche Ananas, herrliche warme Pantoffeln, klassische „Darwin-Zigarren“!) meinen herzlichsten Dank zu sagen! Sie werden mir aber verzeihen angesichts der „Sündflut“ von 600–700 Postsendungen aus aller Welt, die mich in den Tagen vom 12.–16. Februar beglückte – und wenn Sie wüßten, wie beispiellos unruhig und bewegt für mich die letzten kritischen Monate waren; ich fürchtete oft, ich würde sie nicht lebendig überstehen! ||

Indessen ist Alles gut abgelaufen – besser und schöner als ich hoffen konnte. Die 3 Schlußreden am 8., 10., und 12. Februar sprach ich besser als gewöhnlich, unter lautem Beifall. Besonders rührte mich die Überraschung durcha Frl. Holgers, am Schlußakt des 12.2.; ihr schönes Gedicht wird in der nächsten Nr. des „Freien Wort“ (Frankfurt a/M) erscheinen. –

Mein trefflicher Nachfolger, Prof. Plate wird am 1. April meine alten Arbeitsräume (im Zoologischen Institut) beziehen und dann mit mir zusammen die innere Einrichtung des Phyletischen Museum beginnen. Das wird nun meine Hauptarbeit sein! Im Übrigen gedenke ich im Sommer endlich einmal unsere herrliche Natur ruhig zu genießen, – hoffentlich öfter mit Ihnen zusammen! Mit herzlichsten Grüßen an Sie und Ihren lieben Mann

treulichst Ihr alter Ernst Haeckel.

Ihre herrliche, eigenhändig gehäkelte warme Decke wärmt mich täglich!b ||

[gedrucktes Rundschreiben:]

Dank und Abschied.

Jena, 21. Februar 1909.

Aus Anlass meines 75sten Geburtstages sind mir am 16. Februar d. J. von Nah und Fern überaus zahlreiche Glückwünsche und Beweise freundlicher Teilnahme zugegangen. Aeltere und jüngere Schüler haben in Briefen und Adressen ihren Dank für meine Lehrtätigkeit ausgedrückt; wahrheitsuchende Gesinnungsgenossen aus allen Bildungskreisen haben mich ihrer treuen und dankbaren Anhänglichkeit versichert. Wertvolle Geschenke, Blumenspenden und feinsinnig ausgeführte Kunstwerke, haben neben wissenschaftlichen Gaben mir viel Freude bereitet. Da ich zu meinem Bedauern ausser Stande bin, allen einzelnen Gebern und Gönnern meinen herzlichen Dank persönlich abzustatten, muss ich sie freundlichst bitten, ihn in diesen Zeilen entgegen zu nehmen.

Besonderen Dank schulde ich jenen hochherzigen Freunden der Naturwissenschaft, welche bei dieser Gelegenheit ansehnliche Gaben für mein neues, vor zwei Jahren begründetes Phyletisches Museum beigesteuert haben. Es wird mir dadurch möglich, jetzt mit der inneren Einrichtung dieses ersten „Museums für Entwickelungslehre“ zu beginnen, nachdem dessen stattliches Gebäude vollendet und von mir der Universität Jena, bei Gelegenheit ihrer 350-jährigen Jubelfeier am 30. Juli 1908, als Geschenk übergeben worden ist. Ich hoffe, daß meine Kräfte noch ausreichen werden, wenigstens || die Grundzüge dieser gemeinnützigen Bildungs-Anstalt, meiner letzten Lebensarbeit, festzulegen.

Nachdem ich jetzt mein akademisches, seit 48 Jahren gehabtes Lehramt an der Universität Jena niedergelegt habe, nehme ich zugleich Abschied von den zahlreichen Lesern meiner Schriften und von den wohlwollenden Förderern meiner Arbeit. Beim Abschlusse meiner langen, mühsamen und kampfbewegten Lebensarbeit muss ich es dankbar als besonderes Glück betrachten, dass es mir vergönnt war, in dem grossen Kampfe der Weltanschauungen zur wissenschaftlichen Begründung und weiten Verbreitung des lichtbringenden Entwickelungs-Gedankens beizutragen. Nach wie vor bin ich fest überzeugt, dass nur auf diesem Wege die Befreiung der denkenden Menschheit von den Ketten der Unwissenheit und des traditionellen Aberglaubens erreicht werden kann. Nur durch die voraussetzungslose Natur-Erkenntnis werden wir zur reinen Wahrheit gelangen, und indem wir mit dem Besitze des Wahren den Genuss des Schönen und das Streben nach dem Guten verbinden, zu jener einheitlichen und vernunftgemässen Weltanschauung, deren höchstes Ziel die monistische Religion bleibt.

ERNST HAECKEL.

a Dittographie: durch durch; b Text am linken Rand von Seite 1, um, 90° gedreht: Ihre … täglich!

Brief Metadaten

ID
31673
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
28.02.1909
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
14,0 x 21,8 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 31673
Zitiervorlage
Haeckel, Ernst an Hintze, Wilhelmine; Jena; 28.02.1909; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_31673