Ernst Haeckel an Wilhelmine Hintze, Jena, 21. November 1906

ZOOLOGISCHES INSTITUT

DER UNIVERSITÄT JENA.

Jena 21.11.06.

Hochverehrte und liebe Freundin!

Da Sie mich heute – an dem großen (Kaiserlich Deutschen) Bußtage – durch einen so lieben Brief erfreuen, muß ich Ihnen doch gleich meinen herzlichen Dank und Gruß senden; – auf die Gefahr hin, die stille Bußübung sündhaft zu unterbrechen, die ich heute Abend in meiner einsamen Studirstube im Zoologischen Institut abhalte.

Damit verbinde ich zugleich den Dank für Ihre früheren lieben Briefe, wenn ich auch gestehen muß, daß Sie doch die begeisterte Verehrung für Ihren alten (und schon etwas „altersschwachen“!) Altmeister allzusehr übertreiben. ||

Da ich indessen anderseits von den frommen Zionswächtern und den mit ihnen verbündeten (neidischen) Zopfgelehrten bis in die siebente Hölle heruntergerissen werde, kann ich solche angenehme Verhimmelung mir schon des Gleichgewichts wegen gefallen lassen!

Mir geht es jetzt im Ganzen gut; ich halte wieder meine Zoologischen Vorlesungen (in bescheidenem Maaßstabe) und gehe fleißig spazieren, um die alten Knochen und Muskeln nicht ganz einrosten zu lassen. Der October war in unserem lieben Saaltal ganz herrlich, warm und sonnig. ||

Von den „Lebenswundern“ wird in diesen Tagen die (abgekürzte) Volksausgabe erscheinen; ich glaube aber nicht, daß der Erfolg annähernd wie bei den „Welträthseln“ sein wird; sie sind viel schwieriger zu lesen. Ich sende Ihnen beifolgend 2 Exemplare und bitte, das zweite an unseren Freund Dr. Reh zu geben, der vielleicht in der „Umschau“ darauf hinweist.

– Die Broschüre von Dodel: „E. H. als Erzieher“ hat Vielen meiner Freunde ebenso wie Ihnen gefallen – nur meiner guten Frau nicht, die mir jedes Erziehungs-Talent abspricht und für meine Schattenseiten und Temperaments-Fehler ein sehr scharfes Auge hat! ||

Unser Monistenbund macht erfreuliche Fortschritte, trotz aller Angriffe, und trotz der Mißgunst der lieben akademischen Collegen, die hartnäckig den Beitritt verweigern. Hoffentlich wirkt der neue active Praesident, Dr. Aigner (Arzt) in München, recht erfolgreich.

– Die heitere „Uniform-Anbetung“ des Deutschen Volkes (Köpenik, München!) wirft ein glänzendes Licht auf die „patriarchalischen“ „Gemüts-Zustände des optimistischen „Neuen Curses“ (Byzanz a. d. Spree).

– Mit herzlichen Grüßen und besten Wünschen

Ihr alter

Ernst Haeckel.

Brief Metadaten

ID
31660
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Datierung
21.11.1906
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
13,9 x 22,0 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 31660
Zitiervorlage
Haeckel, Ernst an Hintze, Wilhelmine; Jena; 21.11.1906; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_31660