Ernst Haeckel an Wilhelmine Hintze, Jena, 22. März 1906
ZOOLOGISCHES INSTITUT
DER UNIVERSITÄT JENA.
Jena 22.3.1906.
Liebe und verehrte Freundin!
Für zwei liebe Briefe habe ich Ihnen wieder herzlich zu danken, und dazu noch für die schöne, erquickende Ananas, für mich „fruchtessenden Primaten“ ein besonderer Genuß!
Ihre freundschaftliche Teilnahme an meinem Befinden rührt mich sehr! In letzter Zeit geht es wieder besser; aber die zwei Anfälle von rheumatischem Fieber (mit bösen Schmerzen in den Sprunggelenken, abwechselnd beider Füße!) hatten mich wieder zurückgebracht und sehr deprimirt. ||
Herr Dr. Schmidt – den ganzen Tag als Secretär des „Monistenbundes“ tätig – brachte mir frische Grüße von Ihnen – sehr willkommen! Zugleich erzählte er mir, daß Dr. Ludwig Reh bedauert habe, daß er von dem (vorbereitenden) Comité des Monistenbundes nicht zur Unterschrift des Aufrufs aufgefordert sei. Das geschah nicht, weil das Comité fast von allen Fachgelehrten, die zur Unterschrift aufgefordert wurden, ausweichende oder ablehnende Antworten erhalten hatte (aus „Vorsichten“ oder „Rücksichten“!) Bitte beruhigen Sie Dr. Reh gelegentlich darüber; wir hoffen sehr auf seine aktive Mitwirkung! ||
Letzte Woche war die Jenaische Zeitung täglich Tummelplatz eines Scharmützels zwischen Dr. Schmidt und Prof. Thümmel! Dieser „liberale“ (!) Theologe verglich Dr. Schmidt mit dem Raubmörder Hennig und warnte alle frommen Christen vor den „Gott-losen“ Monisten! Der Monismus führe direct zum Verbrechen. Der „lebendige Gott“ wohne in allen Menschen als ihr unfehlbares „Gewissen“, und nur durch den „wahren Glauben“ (an Christus!) könnten wir „erlöst werden“! Da ich also zu den „Gott-losen“ Verbrechern gehöre und der „ewigen Verdammniß“ verfalle, warne ich Sie, Beste! – eindringlich vor weiterem brieflichen Verkehr mit diesem Bösewicht, der stets bleibt
Ihr ergebener
Ernst Haeckel.