Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Wilhelmine Hintze, Jena, 24. Februar 1906

Jena 24.2.1906.

Hochverehrte Freundin!

Zürnen Sie mir nicht, daß ich Ihnen erst heute meinen herzlichen Dank abstatte für Ihre beiden letzten liebenswürdigen Briefe, für Ihre Glückwünsche zu meinem 72. Geburtstage und die herrlichen Weintrauben die sie begleiteten. Ich wurde aber am 16.2. dergestalt mit Briefen und Gaben aller Art überschüttet, daß ich von nachstehendem Dankschreiben über 200 Stück zu versenden habe; ich bin noch lange nicht mit Allen fertig! Ihre lieben Briefe waren mir eine ganz besondere Freude! ||

Unser Monistenbund erfreut sich lebhafter Teilnahme in weiten Kreisen; wir haben bereits über 300 Mitglieder und 3000 Mk in der Sparkasse. Dr. Heinrich Schmidt ist den ganzen Tag mit Arbeiten dafür beschäftigt. Auch viele Frauen sind enthusiastische Teilnehmer.

Meine Gesundheit bessert sich stetig, wenn auch langsam.

Heute nur noch herzlichste Grüße und wiederholten besten Dank

von Ihrem treu ergebenen

Ernst Haeckel. ||

[Rückseite: gedrucktes Rundschreiben:]

Aus Anlass meines 72. Geburtstages sind mir am 16. Februar d. J. so zahlreiche Glückwünsche und freundliche Gaben zugegangen, dass es mir zu meinem Bedauern nicht möglich ist, allen Gebern einzeln meinen herzlichen Dank abzustatten. Indem ich demselben durch diese Zeilen Ausdruck gebe, füge ich die Versicherung hinzu, dass jene Beweise der Zuneigung und Anerkennung am Abend eines langen und vielbewegten Lebens mich hoch erfreut haben; sie sind der beste Lohn für mein unablässiges Streben nach Erkenntnis der Wahrheit und Förderung der Wissenschaft.

Da in vielen von jenen Glückwunsch-Schreiben dieselben Fragen nach meinem Befinden und meinen Arbeits-Aussichten wiederkehren, füge ich noch hinzu, dass meine Gesundheit sich stetig bessert; ich hoffe, meine akademischen Vorlesungen, die ich in diesem Winter ( ‒ meinem 90. Dozenten-Semester in Jena ‒ ) leider nicht abhalten konnte, im nächsten Sommer wieder aufnehmen zu können. Dagegen kann ich keine Aussicht darauf eröffnen, dass meine etwaigen weiteren Arbeiten noch nennenswerte Ergebnisse liefern werden. Denn was ich bisher mit ehrlichem Fleisse, im Laufe von 50 Jahren Forschens und Denkens, aus dem tiefen Schacht der Natur-Erkenntnis habe zu Tage fördern können, ist bereits in meinen bisherigen Schriften veröffentlicht. Ich lege jetzt die Aufgabe ihrer weiteren || Entwickelung vertrauensvoll in die Hände meiner zahlreichen Schüler und Anhänger; ich hoffe, dass es ihren jüngeren Kräften nachhaltiger, als mir selbst, gelingen wird, den Sieg der reinen Vernunft, gegenüber der Macht der herrschenden Vorurteile und des traditionellen Aberglaubens herbeizuführen. In dieser Hoffnung bestärkt mich die lebendige Teilnahme, die der Deutsche, am 11. Januar d. J. hier gegründete „Monistenbund“ in weitesten Kreisen findet; möge ihm eine segensreiche Wirksamkeit beschieden sein!

Ernst Haeckel

Jena, 20. Februar 1906

 

Letter metadata

Gattung
Verfasser
Empfänger
Datierung
24.02.1906
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 31655
ID
31655