Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Wilhelmine Hintze, Jena, 12. Oktober 1905

ZOOLOGISCHES INSTITUT

DER UNIVERSITÄT JENA.

Jena 12.10.1905.

Hochverehrte und liebe Freundin!

Für die herrlichen blauen Trauben, durch deren gütige Sendung Sie mich heute überraschten, sage ich Ihnen meinen herzlichen Dank; sie erinnern mich durch Riesengröße, schöne Farbe und köstlichen Geschmack an die köstlichen sicilianer Trauben, die ich im October 1859 selbst am Etna von den Stöcken pflückte. Nicht minder danke ich Ihnen für Ihre wiederholten Freundschaftsbriefe und die darin befindlichen Goethe-Erinnerungen; auch für mich bleibt Goethe die wertvollste, nie versiegende Quelle wahrer Erbauung. ||

Von mir kann ich Ihnen leider nicht viel Erfreuliches berichten. Die Kur in Baden-Baden hat zwar die alten rheumatischen Leiden beseitigt (– hoffentlich für längere Zeit –). Allein die täglich wiederholte starke Gymnastik und die heißen Dampfbäder (– die ich wohl etwas übertrieb –) haben mich diesmal sehr angegriffen; ich litt an Schlaflosigkeit, Herzklopfen etc. So mußte ich dann schon am 18. Septbr nach Jena zurückkehren, zumal auch meine arme Frau auf’s Neue erkrankt war; jetzt geht es ihr wieder besser. ||

Die vollkommene Ruhe, in der ich hier seit 3 Wochen lebe, hat mich inzwischen wieder gekräftigt, so daß ich hoffen kann, in 14 Tagen das Winter-Semester (mein 90stes!) mit genügenden Kräften beginnen zu können. Ich habe mich in diesen stillen Ferien-Wochen wieder auf mein altes Steckenpferd, die Landschafts-Malerei geworfen, und eine Anzahl alter indischer Skizzen (teils aus Ceylon 1881, teils aus Insulinde, 1901) retouchirt, einige auch für den Farbendruck (– der „Wanderbilder“) die bei Köhler in Gera erscheinen) – fertig gemacht. ||

Da Sie, verehrteste Freundin, sich von meiner alten Person ein ganz ideales Bild machen (– und die vielen Schattenseiten meiner Individualität mit dem Mantel „Christlicher Liebe“ zudecken) sende ich Ihnen einliegend eine Postkarte, die neuerlich ein Leipziger Verehrer in den Handel gebracht hat. Dieses Profil-Bild (photographirt nach einem Gyps-Relief-Medaillon) entsprach vor 15 Jahren noch einigermaßen dem „Monistischen Ideale“! Jetzt ist das leider nicht mehr der Fall.

Mit freundlichen Grüßen und wiederholtem besten Dank

Ihr alter „Schulmeister“

Ernst Haeckel.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
12.10.1905
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 31650
ID
31650