Rottenburg, Paul

Paul Rottenburg an Ernst Haeckel, Glasgow, 4. November 1889

Holmhurst,

Dowanhill Gardens,

Glasgow.

4/11. 89.

Liebster Freund!

Du sagtest Anfang September in Jena, es sei nicht unmöglich daß Du nach Paris kämst. Natürlich hätte ich mir die Haare gerauft, wenn Du dort gewesen wärest und ich hätte Dich verfehlt. Ergo, telegrafirte ich und erhielt auch Dein Telegramm; entschuldige daß ich Dir nicht früher gedankt habe! „Es wär’ so schön gewesen – es hat nicht sollen sein.“ – Vielen Dank für Deine Karten, aus denen ich mich freute zu ersehen daß es Dir gut ging und Du Deine Reise genossen. – Ich habe viel Schlimmes erlebt seit ich die gastliche || Villa Medusa verließ. – Mitte September ging ich mit unseren Jungens nach Stassfurt und weiter nach Hamburg. Mein Bruder kam von Friedrichsruh herüber und wir verlebten in der Ausstellung einen sehr frohen Abend. Tags drauf fuhr ich nach Friedrichsruh zu Mittag, traf unseren Bruder sehr niedergeschlagen über schlechte Nachrichten aus London bezüglich seiner Frau und konnte ihn leider seiner Angst nicht entheben, denn es kamen zwei Telegramme während des Abends, die keine Zweifel ließen über die große Gefahr. – Statt mit unseren Jungens über Leith nach Hause zurückzukehren, fuhr ich mit unserem armen Bruder sofort nach London, aber leider nur um die junge blühende || Frau bereits ohne Bewusstsein zu finden und sie nach 10stündigem Todeskampf sterben zu sehen. – Eine Zuckerkrankheit, die lange Zeit vollständig unbemerkt und unerkannt ihr Zerstörungswerk besorgt hatte, raffte sie in 3 Tagen dahin. – Mein armer Bruder bleibt mit zwei reizenden Kindern zurück: einem Jungen von 4 Jahren und einem Mädchen von 12 Monaten. Es waren schwere Tage und Stunden. Die Medizin ist mir a nie so armselig vorgekommen wie an diesem Krankenlager, wo so viel Lebenskraft und Wollen da war. – Ende September musste ich dann nach Paris und Brüssel und seit Anfang October gehe ich wieder hier in der Tretmühle und sehne mich öfters nach Luft, Licht und Natur. – In Thüringen hat es uns Allen gar zu gut gefallen – meine Frau blieb noch 14 Tage nach uns in Liebenstein, ihre Cur zu beenden – hat aber leider ihren Rheumatismus nicht ganz fortgewaschen. – Wir sprachen schon davon im nächsten Jahre zusammen nach Karlsbad zu gehen unsere Lebern zu repariren. –

Freitag war ich in Edinburgh zur Eröffnung der Microscopean Society of Scotland – sah in der Entfernung den „Mondschein“ von Murray’s Hinterkopf konnte ihn aber nicht sprechen da ich denselben Abend nach Glasgow zurück musste. –

Gute Nacht. Viele herzliche Grüße von Haus zu Haus.

Immer

Dein

Paul Rottenburg

a gestr. nicht

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
04.11.1889
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 31428
ID
31428