Paul Rottenburg an Ernst Haeckel, Glasgow, 19. Januar 1885

Homhurst,

Dowanhill Gardens,

Glasgow.

19 Jan. 85.

Liebster Freund!

Du wirst mich für hündisch beanlagt halten, daß ich, das Objekt in Händen, mich erst für Deinen lieben Brief vom 29ten und die darin angekündigte „Naturgeschichte des Menschen“ bedanke. Vielen, vielen Dank! Ich werde mich mit Tante Ida sofort darin vertiefen und mich mit meinen neuen Colonialbrüdern befreunden. – Ich wünschte ich könnte Dir ein Stückchen Ceylon unter dem Weihnachtsbaum aufbauen, statt eines Stückchen Marcipan’s. || Es ist ja nur Marcusbrod, das im „Schweiße des Angesichtes“ genossen vielleicht leichter verdaulich und besser bekommt. –

Gottlob, daß Ihr Alle wohl und das Weihnachtsfest glücklich verlebt habe. Wir koennen auch nicht klagen, denn kleine Erkältungen und verdorbene Mägen zählen nicht. Winter will es hier immer noch nicht werden; es wechselt von Tage zu Tage. –

Deine Wandervogelgelüste kann ich sehr gut verstehen – „oh Se anch’io, ma lo contende“ una Sposa e cinque bambini. Da heißt es Still sitzen bleiben und ruhig im Tretrad weiter || treten. Ich besorge mitunter, daß die täglich fühlbarer werdende Concurrenz Deutschland’s zu ernstlichen Differenzen zwischen England und Deutschland führen kann, wo dann Colonialpolitik das Schwefelhölzchen abgeben würde. Wenn nur dieser Zeus Bismarck die Zollpolitik aufgeben wollte, dann könnte Alles noch ganz gut werden; – ein zweites Wenn ist, daß wir von den Irischen Dynamitards nicht in die Luft geblasen werden. –

Die Internationale wird der Welt, fürchte ich, noch viel zu schaffen machen. –

Wir ergehen uns hier || seit 5 Wochen in Musik – 2-3 Concerte (Subscriptionsconcerte) per Woche – Heckmannsches Quartett – sehr schön, aber bischen Viel, wenn man den Rest des Jahres nichts zu hören bekommt. –

Wir haben noch Schwager versprochen im Sommer zu seiner silbernen Hochzeit hinüberzukommen und wenn wir überhaupt nach dem Continent kommen „spritzen“ wir sicher in Jena vor und thun einen Blick in das liebliche Thüringen. – Wenn man Euch doch mal in Schottland genießen koennte! –

Viele Grüße und nochmaligen herzinnigen Dank von Deinem

Paul Rottenburg

Brief Metadaten

ID
31401
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Vereinigtes Königreich
Datierung
19.01.1885
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
12,9 x 20,0 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 31401
Zitiervorlage
Rottenburg, Paul an Haeckel, Ernst; Glasgow; 19.01.1885; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_31401