Keller, Conrad

Conrad Keller an Ernst Haeckel, Zürich, 24. Dezember 1883

Zürich, dℓ. 24. Dec. 1883

Hochgeehrter Herr Professor!

Sie gestatten wohl, dass ich Sie über einen Punct um Auskunft ersuche. Ich bin im Begriff einige Mittheilungen über Medusen für die Publication vorzubereiten.

Ich war im Herbst in Neapel und habe experimentelle Untersuchungen an Cassiopea borbonica (Cotylorhiza) vorgenommen, die mir positive Resultate ergaben.

Sodann hat sich im Golfe eine neue Meduse gezeigt, die aber offenbar sehr selten ist und eine merkwürdige Jugendform besitzt.

Die Meduse ist äusserst zierlich und gehört zur Gattung Orchistoma. Meines Wissens ist diese Gattung aus den europäischen Meeren bisher noch nicht bekannt geworden.

Es ist aber möglich, dass in den letzten Jahren doch eine Medusenpublication erfolgte, die mir entgangen ist und um sicher zu gehen, möchte ich Sie || anfragen, ob über Orchistoma oder eine nahe verwandte Form seit der Veröffentlichung Ihres grossen Medusenwerkes irgendetwas erschienen ist? Wenn Sie mir per Carte allfälligen Bericht geben wollten, wäre ich Ihnen sehr dankbar.

Ihr neues Institut wird nunmehr wohl bereits bezogen sein und mit den Schätzen Indiens gefüllt werden.

Ich hoffe doch einmal nach Deutschland reisen zu können, um mir verschiedene Institute anzusehen.

Es würde mich sehr interessieren, den Neubau zu sehen.

Hier in Zürich gibt es wenig Neues. Der alte Oswald Heer ist wie Sie wissen, gestorben. Trotz unserer verschiedenen Richtung habe ich ihn stets höher schätzen gelernt und er ist mir in gutem Angedenken. Er ist zuletzt unserer Richtung versöhnlich und gerecht geworden. An der Universität ist Dodel sein Nachfolger geworden am schweizerischen Polytechnikum haben wir ihn glücklich losa. Er hat sich in der inländischen und ausländischen || Presse als ein Genius ersten Ranges anpreisen lassen, die Sache hat hier viel Lärm gemacht.

Von Frey kann ich Ihnen auch nichts Rühmliches berichten. Er ist ganz heruntergekommen und hat alle Achtung verloren.

Er hat in seiner Vorlesung so großen Zuspruch, daß er seinen zoologischen Zuhörern sagen kann: Tres faciunt collegium! Er hat jahrlang mit den hiesigen Frommen pactirt und mir meinen Standpunct sehr erschwert. Jetzt hat er sich mit diesen überworfen und wird von ihnen mit aller Wuth verfolgt: Kampf ums Dasein! Mir gewährt diese Wendung eine große Befriedigung – es ist eine wohlverdiente Nemesis.

So siehts fürs neue Jahr aus, zu dem ich Ihnen herzlich Glückwunsch bringe.

Mit ergebenen Grüssen

Ihr

C.Keller

a mit Einfügungszeichen eingef.: 1) am schweizerischen ... glücklich los

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
24.12.1883
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 31280
ID
31280